Literatur

23.10. | Buch der Woche

Permanent Record

Edward Snowden

Die Welt kennt seinen Namen. Spätestens seit dem Kinofilm, kennt die Welt seine Geschichte. Die Frage bleibt: Wie konnte aus Edward Snowden ein amerikanischer Staatsfeind werden?

Für die US-Regierung ist Edward Snowden weiterhin ein Verräter, aber was ist er für uns? Wenn es Helden gibt, dann steht die Arbeitsteilung fest: hier die hilflosen Bewohner von Gotham und dort unsere Rettung, Batman. Kürzlich erklärte Snowden im Rahmen eines Live-Interviews mit der ZEIT, warum er Menschen nicht als Helden bezeichnen würde: "Es gibt keine heldenhaften Menschen. Es gibt heldenhafte Entscheidungen. Und Sie selbst sind nur eine Entscheidung davon entfernt, eine solche zu treffen.“

Jetzt hat Snowden, im Alter von 36 Jahren, seine Autobiographie vorgelegt. Wer annahm, er würde nicht allzu viel über sein Privatleben Preis geben, weil er selbst als größter Verfechter der Privatsphäre gilt, der irrt. Snowden liefert keine bloße Nacherzählung der Ereignisse, sondern eine Reise in sein Innerstes, die es erleichtert, seine späteren heldenhaften Entscheidungen zu verstehen.

„Permanent Record“, das waren die Worte seines High-School-Lehrers Mr. Stockton, der damit die schlechten Schulnoten meinte, die Edward vermeintlich den Rest seines Lebens begleiten würden. Der magere und verunsicherte Junge, dessen Eltern mitten in der Scheidungskrise waren, hatte bis dato die meiste Zeit seines Lebens am Computer oder an der Spielkonsole verbracht. Zwischenzeitlich galt Edward sogar als lernbehindert, bis ein IQ-Test das Gegenteil bewies. Die Fragestellung einer Prüfung damals lautete: „Verfasse einen autobiographischen Bericht von mindestens 1000 Wörtern.“ Edward wusste partout nicht, was er schreiben sollte, weil er nicht wusste wer er war. Er reichte ein leeres Blatt ein. Note: Ungenügend. Aus einer leeren Seite sind heute 432 Seiten geworden. Note: Sehr gut.

Snowdens Memoiren beginnen in der frühen Kindheit, wo er zum Beispiel beschreibt, dass seine Mutter sein mathematisches Gedächtnis trainierte, indem sie ihn die Einkäufe im Supermarkt möglichst exakt zusammenrechnen ließ und ihn dafür belohnte. Aber auch seine seine erste Liebe, die Begeisterung für Technik und Computer, seine Neugier für historische Ahnenkunde und griechische Göttersagen oder seine ersten epileptischen Anfälle werden sehr authentisch und emotional nachvollziehbar beschrieben. Das Internet wurden zu seinem zweiten Zuhause. Was ihn faszinierte? „Die Freiheit, sich etwas vollkommen Neues auszudenken, die Freiheit ganz von vorn anzufangen“

Die Anschläge des 11.September verändern alles. Sie motivieren ihn schließlich dazu, wie seine Eltern für die Regierung zu arbeiten. Bis schließlich eben jene Freiheit, für die er das Internet liebte, durch seine eigene Mitwirkung an der Technik der Massenüberwachung, zu schwinden gerät. An dieser Stelle wird es trocken und technisch, aber Snowden gelingt es immer wieder, die komplizierten Vorgänge für Laien herunterzubrechen. Man lernt zu begreifen, warum Snowden dieses Wissen plagte und zum Aufstand des Gewissens führte. Das russische Asyl für den Whistleblower läuft Anfang 2020 aus. Deutschland hat dieses Wissen und muss nur noch Gewissen beweisen. ALIA HÜBSCH

S.Fischer • 432 Seiten