Literatur

23.09. | Buch der Woche

Mieko Kawakami • Brüste und Eier

Dumont

MIEKO KAWAKAMI
Brüste und Eier

Dumont • 496 Seiten

Weibliches Nirwana

Die japanische Schriftstellerin Mieko Kawakami imaginiert in ihrem Roman »Brüste und Eier« die friedliche Koexistenz der Geschlechter.

»So großartig, dass es mir den Atem raubt«. Mit diesem Zitat Haruki Murakamis bewirbt Dumont den Roman Mieko Kawakamis. Der »Blurb« des wohl bekanntesten japanischen Schriftstellers schadet dem Roman jedoch mehr als er ihn befördert. Zum einen darf der Leser keine Symbiose aus magischem Realismus und Zeitphänomenen erwarten, zum anderen bedarf es keiner männlichen Autorität, um diesem Buch einen besonderen Stellenwert zu verleihen. Kawakamis Roman entspringt vielmehr der Sehnsucht, Weiblichkeit endlich einen Platz im Nirwana zu verschaffen, ohne die Männer in den Abgrund zu kicken. Zu »schmutzig« seien Frauen, um ins Nirwana zu gelangen. Frauen müssten erst als Männer wiedergeboren werden, um den ewigen Kreislauf des Schmerzes und der Wiedergeburten zu durchbrechen. Was aber, wenn nicht einmal das Jenseits der Frauen Paradies werden kann? Wie soll das irdische Leid dann weibliche Heimat werden? Kawakamis Beschreibung der Weiblichkeit ist desillusionierend: Die Frau ist eine »Arbeitskraft mit Fotze« und eine »Gebärmaschine«. Der Roman ist bevölkert von Frauen, die weniger hingebungsvoll als fatalistisch dem Manne dienen. Auch Schwiegermütter fordern ihren Tribut, da die nächste Generation nicht weniger schmerzbehaftet leben soll als die vorige.

Diesen Zyklus des ewig Weiblichen veranschaulicht Kawakami anhand dreier Hauptfiguren, die jede für sich mit Ansprüchen an Weiblichkeit hadern. Natsuko, die Ich-Erzählerin, ist Schriftstellerin und tut sich gleichermaßen schwer mit der Genese ihres Romans wie mit der Möglichkeit einer Schwangerschaft. Ihre ältere Schwester Makiko vermag sich nicht mit den Veränderungen ihres Körpers nach der Geburt ihrer Tochter abzufinden und ist besessen von einer Brustoperation. Makikos pubertierende Tochter Midiriko wiederum hasst die Wandlungen ihres Mädchenkörpers und ersehnt sich das Ende der Vereinigung von Ei- und Samenzellen herbei. Einem spröden Thesenroman entgeht Kawakami, indem sie dem Irrglauben an die Lösungsmacht der Debatte – zack! – eine Eierschlacht entgegensetzt. Mutter und Tochter kommunizieren nur mehr schriftlich miteinander. Kein Austausch fruchtet, erst als sich die beiden slapstickreif Eier an den Kopf werfen, steht Versöhnung im Raum. Das ist die Schlüsselszene des Romans. Kein Mann dieser Welt ist zum Erlöser geschaffen. Die Frauen müssen schon selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen, zumal die Männer ihr eigenes Packerl zu tragen haben und depressiv, eitel selbstgefällig oder in Männlichkeitskulten gefangen durchs Leben wanken. Kawakami erkennt, dass die Ablösung alter Stereotype durch neue keinen Fortschritt ermöglicht, sondern das ewige Samsara des Weiblichen und Männlichen lediglich perpetuieren. Manchmal gibt es einfach keine Wahrheit, so die Erkenntnis, lediglich trial and error. In Makikos Fall bedeutet das, dass Sex, Liebe und Beziehung keine Dreifaltigkeit bilden. In »Brüste und Eier« deutet sich ein Nirwana an, das Frauen und Männer in gleichem Maße beglückt. Das Geheimnis liegt schlichtweg darin, Geschlechtlichkeit nicht überzubewerten.

Ute Cohen