Musik

22.11. | Album der Woche

Jazzrausch Bigband • Dancing Wittgenstein

Leader und Posaunist Roman Sladek über seine 15-köpfige Jazzrausch Bigband, die mit mächtigen Beats in Opernhäusern und Techno-Clubs auftritt.

Herr Sladek, Sie sind Gründer und Produzent der Jazzrausch Bigband. Als studierter Posaunist Sind Sie aber vor allem Musiker, oder?
Nun, wir spielen mehr als 100 Konzerte im Jahr, dieses Jahr waren wir zum Beispiel in China, Russland, Serbien und Texas. Wir sind insgesamt 40 Leute im Team, da gibt es viel zu organisieren. 90 Prozent meiner Zeit verbringe ich also tippend am Laptop und nicht mit der Posaune.

Bei Ihren Konzerten stehen diese 40 Mitglieder aber nicht gleichzeitig auf der Bühne.
Man kann sich uns wie eine Fußballmannschaft vorstellen. Diese Menge an Terminen kann man nur mit einer zweiten Mannschaft bewältigen. Dabei sind aber beide gleichberechtigt. Jede Position ist doppelt besetzt, wir rotieren frei, je nach Verfügbarkeit. Pro Woche spielen wir zwei bis drei Mal, eine Stamm- oder Ersatzmannschaft gibt es nicht.

Die Jazzrausch Bigband steht seit fünf Jahren für eine fast schon verwirrende Stilvielfalt, die nicht nur Electro-Jazz umfasst.
Wir wollen immer lernen, die Musik ständig weiterentwickeln. Es gehörte von Beginn an dazu, verschiedene Programme zu machen. Zuerst haben wir ein Weihnachtsprogramm mit traditionellem Swing entwickelt, dann ein Dubstep/Klassik-Crossover-Projekt, und eines mit der Rapperin Fiva. 2020 wird es ein Beethoven-Programm geben. Wir leben davon, uns verschiedenen Genres anzunehmen.

Sie sind nun die weltweit erste Bigband, die als Hausband in einem Techno-Club spielt.
Wir wollten unbedingt in einem Club die Hausband sein, wo sonst kaum Jazz läuft. Jetzt sind wir im Münchner Harry Klein – für uns ist das ein Versuchslabor. Wie wirkt unsere Musik im authentischen Rahmen eines Techno-Clubs? Wir stehen oben, hinter und neben dem DJ-Pult. Es gibt eigentlich keine Schwelle zum Publikum, die Leute schauen auch von einer zweiten Ebene auf uns herab. Das ist wie in einer Hundekampfarena. Eng und intensiv!

Sie waren dieses Jahr viel unterwegs. Gab es ein Konzert, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Im März waren wir in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, in einem Slum, in dem es eine Initiative gab, die Bands mit Schulkindern zusammenbringen wollte. Viele Menschen leben dort vom Müllsammeln. Die Schule liegt direkt neben der Müllhalde. Wir standen in der dortigen Aula, umnebelt vom brennenden Müll, mit 500 Kids vor uns, und spielten zum Teil auf Kinderinstrumenten. Da hat sich eine Energie ergeben, die wir alle noch nie zuvor erlebt hatten.

FAZIT
Dieser Sound ist sind nichts für Elektronik-Kostverächter: Auf ihrem neu aufgelegten Album „Dancing Wittgenstein“ fährt die Münchner Jazzrausch Bigband deftige Neunziger-Jahre Techno-Beats auf. Gemixt von einem renommierten Dub-Produzenten, steigern sich die 20 Musikerinnen hier in bis zu zehnminütige Electro-Jazz-Exkursionen. Ein Programm, wie gemacht für Liveshows, doch dank melodischer Soli und souliger Vocals funktioniert der Genre-Mix auch auf CD.

Foto: © ACT Josy Friebel

Jan Paersch