22.05. | Kinostart der Woche: Monsieur Aznavour
Foto: Rémi Deprez
Eloquente Ehrlichkeit
»Monsieur Aznavour« widmet sich dem Leben und Schaffen des letzten großen, französischen Chansoniers mit einem überragenden Tahar Rahim in der Titelrolle.
»Bist du Jude?« – »Nein, Armenier.« – »Was ist das?« Das sei, sagt Charles Aznavour zu Édith Piaf, zu lang, um es zu erklären. Die weltberühmte Chansonette winkt ab, sie will den jungen Mann ja nicht zum Reden, sondern zum Schreiben von Liedern. Und so wird Aznavour, dem die Kritiker im Nachkriegsparis absolut keine Karriere als Sänger voraussagen, weil er zu hässlich sei, die Nase zu groß und die Stimme zu rau für Liebeslieder, Teil von Piafs Entourage. Pünktlich zum 101. Geburtstag des letzten großen Chansoniers der goldenen Ära am 22. Mai startet »Monsieur Aznavour« in den deutschen Kinos.
Geschrieben und inszeniert vom Regieduo Mehdi Idir und Grand Corps Malade versucht dieses Biopic, 94 ehrgeizige und erfolgreiche Jahre in ebensolche 132 Minuten zu packen – und scheitert daran. Allerdings aus gutem Grund: Die Regisseure haben sich dafür entschieden, nicht die Chansons auf kleine Schnipsel zu reduzieren, um mehr Platz für Story und Dialoge zu haben, sondern umgekehrt. Tatsächlich bietet sich das im Fall von Aznavour an. Seine Lieder handeln von »Chagrin« – Kummer–, selbst gefühlt, selbst gelebt, selbst beobachtet und mit umwerfend eloquenter Ehrlichkeit zu Papier gebracht. Es geht um Schwule, Taube und Blinde, um den eigenen Misserfolg und natürlich um die Liebe: »Mes amis, mes amours, mes emmerdes« heißt einer der berühmteren seiner rund 800 Chansons.
Die zweite gute Entscheidung des Regieduos ist die Besetzung von Tahar Rahim in der Titelrolle. Der ist derzeit nicht nur der beste Exportschlager unter den französischen Schauspielern (»The Looming Tower«, »Der Mauretanier«, »Napoleon«), sondern hat wie Aznavour migrantischen Hintergrund. Nur mit viel Hilfe des Maskenbilds sieht Rahim um die Nase aus wie Aznavour und singen kann er gar nicht. Doch wie der Chansonier ist auch er eine faszinierende Schnittstelle zwischen typisch Französischem und völliger Weltoffenheit. Rahim geht auf in Aznavours Bühnen-Manierismen, in den armenischen Wurzeln, die er in seinem Tänzeln durchscheinen lässt und in dem Weltschmerz, der in den Chansons immer wieder aufblitzt. Dafür fällt der größte Teil von Aznavours Karriere beim Film – darunter »Schießen Sie auf den Pianisten« und »Die Blechtrommel« – unter den Tisch, so wie auch sein gesamtes politisches Schaffen als Botschafter des neu gegründeten Armeniens in der Schweiz und bei den Vereinten Nationen in Genf. Letzteres vermutlich, weil es sowieso viel zu lang zum Erklären gewesen wäre.
Monsieur Aznavour
2 Std. 13 Min.
Als Biopic gescheitert, aber als Musikfilm grandios. »Monsieur Aznavour« konzentriert sich auf die Bühnen-Karriere des berühmten französischen Chansoniers mit den armenischen Wurzeln. Inszeniert von Mehdi Idir und Grand Corps Malade (»Lieber leben«, 2017) flitzt das Drama an biografischen Eckdaten vorbei, um bei Aznavours eindrucksvollen Liedern zu verweilen. Nicht minder faszinierend ist dabei Tahar Rahims Darstellung, der Aznavour zwar nicht singt, aber mit viel Körpergefühl interpretiert.
Edda Bauer