Musik

22.04. | Album der Woche

Die Wände • Die Wände

Glitterhouse

Ewige Baustelle

Genau wie im Horrorfilm: Alles ist wie sonst, nur Die Wände kommen näher. Eine Berliner Band versucht sich an der akustischen Entsprechung eines Gefühls.

„Sobald allumfassende Glücklichkeit hergestellt ist, werden die Platten scheiße“, findet Carsten von Postel. „Kunst und Musik sind dort spannend, wo es nicht ganz sauber ist.“ Von Postel ist Sänger, Gitarrist und Songschreiber der Band Die Wände und hat sich in letzter Zeit so seine Gedanken über das Verhältnis von Sauberkeit und Kunst gemacht. Seine Band kommt vor allem dort ins Spiel, wo die Grenzen verwischen. Sie wurde 2013 gegründet und sah sich erst einmal wortspielhaften Witzen ausgesetzt. Bands namens Türen und Fenster gab es da ja bereits, zum Heimwerker-Himmel fehlten eigentliche nur noch die Bohrmaschine und der Fugenkleister. Und doch steht kein nachhaltiges musikalisches Konstrukt ohne Die Wände. Vor der Pandemie hatte das Trio bereits ein Album mit dem schönen Titel „Im Flausch“ veröffentlicht, das allerdings nur bedingt zum Ankuscheln taugte. „Die Platte repräsentierte bis zu einem gewissen Grad die Resignation“, sagt Carsten von Postel. „Aber die neue LP tritt aus dieser Resignation heraus.“ Und wie. Das gleichnamige Album sitzt selbstbewusst wie nie zwischen den Stühlen: introspektiv und isoliert auf der einen Seite, forsch und fordernd auf der anderen. „Es ist nicht gerade das Album, das man auf einer Party hört, in geselliger Runde, einen freudigen Anlass feiernd“, findet von Postel. Dafür ist es womöglich in der Lage, die Menschheit in kleinen Gruppen und informierten Kohorten auf den richtigen Weg zu bringen. Maßgeblich dafür sind vor allem die beiden extralangen Stücke, die das Album einrahmen. „Die ewige Baustelle“ und „24h“ sind zusammen etwa 28 Minuten lang und verdeutlichen auch musikalisch, worum es der Band geht. Bevor die Songs einen Text hatten, hörte sie Bassist Jann Petersen gerne zum Einschlafen, denn da vermittelten sie eine therapeutische Qualität, die man ansonsten nicht mit Postpunk made in Germany assoziiert. Darum geht es den Wänden in letzter Instanz aber auch nicht. Ihre Musik spielt sich am Rande einer Klippe ab, von der aus man die Zukunft ahnen, aber nicht abschätzen kann. „Wir stellen uns nicht dieselben, sondern neue Fragen“, heißt es in einem Song. Es ist ein utopischer Ansatz, der gleichzeitig etwas Pragmatisches hat. Was übrigens für die gesamte LP gilt. Nichts ist vollkommen, alles im Fluss. Die Musik richtet sich an Mensch und Gesellschaft und kalkuliert Fehler gleich mit ein: „Und werden wir heute nicht fertig, fangen wir morgen wieder an.“

Die Wände
Die Wände

Glitterhouse, 15. April

Postpunk kommt erst dann aus der Mode, wenn er nicht mehr auf subtile Weise bedrohlich ist. Die Wände sorgen dafür, dass das noch ein Weilchen dauert, denn in ihrem Spiegelsaal treffen sich Utopie und Ist-Zustand zum einvernehmlichen Engtanz. Die Musik öffnet eine Zeitschleuse ins Jahr 1981, aber die Texte könnten aktueller nicht sein. Darin geht es um ein unausgesprochenes Unwohlsein mit der Realität. Und um die unausgesprochene Hoffnung, dass sich das demnächst grundlegend ändern könnte.


Foto: Colette Pomerleau

Markus Hockenbrink