Literatur

22.03. | Buch der Woche

Martin Suter • Melody

Diogenes

22.03. | Buch der Woche - Martin Suter • Melody

Martin Suter
Melody

Hardcover
336 Seiten, 26,00 €


Mit voller Macht

Der Vielschreiber Martin Suter legt mit »Melody« einen mitreißenden­ Roman vor, der Krimi, Liebesgeschichte und Gesellschafts­porträt zugleich ist. Endlich wieder.

Wer so viel schreibt wie der schweizerische Autor Martin Suter, der schreibt auch mal – salopp gesagt – Stuss. Dem ehemaligen Werber, der erst im Alter von 49 Jahren seinen ersten Roman »Small World« veröffentlichte, und damit unmittelbar zum Star-Autoren aufstieg, schienen zuletzt etwas die Plots für kraftvolle, glaubwürdige Geschichten auszugehen. Seit »Montecristo«, mittlerweile acht Jahre alt, erschienen fünf weitere Bücher von ihm: zwei, die seine »Allmen«-Reihe fortsetzten (wogegen nichts einzuwenden ist, aber so eine Serie hat doch immer einen leichten Hautgout von Konfektions-Belletristik); eines, in dem er sich mit Benjamin von Stuckrad-Barre über Gott und die Welt unterhält; sowie zwei Romane, bei denen man sich fragte, ob selbst dem Grandseigneur kunstvoll komponierter Kriminalgeschichten mit einem stets spannenden gesellschaftlichen Bezug so langsam die guten Ideen abhanden kommen. In dem einen ging es um einen im Reagenzglas gezeugten rosa Elefanten, im zweiten um den Fußballer Bastian Schweinsteiger. Beide gut und temporeich geschrieben, aber dennoch: Da durfte man selbst als Suter-Fan etwas irritiert eine Augenbraue heben. Nun aber schlägt Martin Suter mit voller Macht zurück und all seine Kritiker in die Flucht. Denn »Melody«, sein neuester Geniestreich, ist ein Roman von enormer Dichte, der gleich mehrere extrem spannende Handlungsstränge parallel erzählt. Und dies – und das ist die wirkliche Kunst – auf Grundlage von gerade einmal drei Hauptfiguren, von denen die eine obendrein nur noch in Berichten, Gedanken und als in Ölbildern an der Wand konservierten Erinnerungen­ existiert. Jene ist denn auch die titelgebende Protagonistin­ Melody,­ eine marokkanische Schönheit von einzigartiger Grazie, kultiviert, charmant und liebenswert. Ihre Geschichte wird im Roman erzählt von Peter Stotz, einem Bourgeois der obersten schweizerischen Gesellschaft und Melodys ehemaligem Verlobten, dereinst ein gefürchteter Anwalt und internationaler politischer Strippenzieher, der es sich leisten kann, sich selbst auf den bunten Promi-Seiten als schrulligen Kauz zu gerieren. Mit nunmehr 84 Jahren nicht nur alkohol-, sondern generell todkrank, sieht er sein Lebensende vor sich und verpflichtet daher den jungen Anwalt Tom, sich durch das umfassende Archiv des alten Mannes zu arbeiten, seinen Nachlass zu ordnen und derart zu beschönigen, dass von Stotz ein positives, gleichwohl stimmiges Bild zurückbleibt. In alkoholgetränkten Kamingesprächen der unterschiedlichen Männer, die sich gegenseitig immer mehr ins Herz schließen, wird das geheimnisvolle Leben von Stotz, der, so viel sei verraten, so manche Leiche im Keller hat, ebenso nacherzählt wie jenes dieser ebenso geheimnisumwobenen Melody, die kurz vor der geplanten Hochzeit spurlos verschwindet. Zwei Handlungsstränge von typischer Suter-Kraft, rasend spannend und mit einer solch atemlosen Dringlichkeit erzählt, dass man gar nicht schnell genug umblättern kann. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch dieser Roman – wie so viele seiner Bücher zuvor – verfilmt wird. Denn schon das Kopfkino beim Lesen könnte kaum vitaler sein.

Sascha Krüger