Kino

20.09. | Kinostart der Woche

UTØYA 22. JULI

UTØYA 22. JULI

Weltkino • 20. September

UtoyaAm 22. Juli 2011 tötete Anders Breivik auf der Insel Utøya 69 junge Menschen. Regisseur Erik Poppe vollzieht diesen Tag nach – aus der Perspektive der Opfer.

Warum? Diese Frage trieb nicht nur die Norweger um, sondern Geschockte rund um den Globus. Nachdem er einen Bombenanschlag in Oslo verübt hatte, machte sich der Massenmörder Anders Breivik zur Insel Utøya auf, um ein Massaker unter den jungen Teilnehmern eines Sommercamps der sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu verüben. 69 Mädchen und Jungen starben. Breiviks Tat, die er mit einem „Manifest“ aus islamfeindlichen und rechtsradikalen Verstiegenheiten zu rechtfertigen versuchte, bleibt bis heute verstörend. Warum, das wurde der norwegische Regisseur Erik Poppe („The King’s Choice“) auf der Pressekonferenz der Berlinale gefragt, muss man über diese Ereignisse einen Film drehen? Noch dazu einen, der den Zuschauer in die Perspektive der Jugendlichen versetzt, über die das Grauen aus sprichwörtlich heiterem Himmel hereinbricht, die kopflos und panisch vor den Schüssen fliehen, die sich in Gebüschen oder in Nischen an der Steilküste zu verstecken versuchen und doch zu leichten Zielscheiben werden? Weil wir die Opfer nicht vergessen dürfen, lautete sinngemäß die Antwort des Filmemachers. Er hat natürlich recht: mit Breivik hat sich die halbe Welt beschäftigt, etliche Reportagen sind entstanden, sein Pamphlet wurde Gegenstand von Theateraufführungen. Was hingegen die Jugendlichen durchmachen mussten, ist weniger beleuchtet worden. Daran zu erinnern, auch in der Form eines dramatischen Th rillers, erscheint absolut legitim – schließlich ist Breiviks mörderisches Gedankengut nicht aus der Welt. Die Hauptfigur in Poppes Rekonstruktion heißt Kaja und wird von der großartigen Nachwuchsschauspielerin Andrea Berntzen verkörpert. Kaja ist ein fiktiver Charakter, der Regisseur wollte den Angehörigen nicht noch das Trauma zumuten, ihre getöteten Kinder wiederzuerkennen. Aber was sie durchmacht, wird sich so oder so ähnlich auf der Insel abgespielt haben: die Flucht von einem unsicheren Unterschlupf zum nächsten, die verzweifelten Versuche, mit schlechtem Empfang die Eltern zu erreichen, der hektische Austausch von Gerüchten, wenn sich die Jugendlichen während ihrer panischen Hatz in alle Richtungen begegnen. Mit rastloser Handkamera folgt Poppe den zu Tode Verängstigten, während Breivik, wie in einem Horrorfilm, der gesichtslose Schattenmann bleibt. Die Frage nach dem Warum kann und will auch Poppe nicht beantworten.

FAZIT: Ein verstörender, aber wichtiger Film über die Opfer des norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik. Quasi in Echtzeit erlebt der Zuschauer die unfassbaren 72 Minuten mit, die vergingen, bis die Polizei den Massenmörder auf der Insel Utøya schließlich stellen konnte. Das erzeugt natürlich eine beklemmende Spannung – wirkt aber in keinem Moment reißerisch.

Patrick Wildermann