Musik
20.09. | Album der Woche
Mari Samuelsen • Life
Deutsche Grammophon
Foto: Andrea Gjestvang
Alles ist möglich
Als zweifache Mutter hat sich das Leben der Geigerin Mari Samuelsen massiv verändert. Das spürt man auch beim Hören ihres neuen Albums »Life«.
Nahe der norwegischen Stadt Lillehammer ist die Geigerin Mari Samuelsen auf einer Farm aufgewachsen. Bis heute kehrt sie gern dorthin zurück, um sich auf ihre Konzerte vorzubereiten. Auch während unseres Videointerviews hält sie sich in ihrem Elternhaus auf, die Fensterfront hinter ihr gewährt einen Blick in die Natur. »Als Kind war ich mit meinem Bruder oft im Wald«, erzählt sie. »Wenn wir zu Hause waren, haben wir gern Musik gehört oder musiziert.« An diese glückliche Kindheit erinnert Mari Samuelsen vor allem Schuberts »Forellenquintett«: »Dieses Werk weckt die Imaginationskraft, man hat zahlreiche Bilder im Kopf.« Sie selbst verbindet es mit purer Natur ebenso wie mit einem großen Freiheitsgefühl. Deswegen hat sie den vierten »Forellenquintett«-Satz für ihr farbenfrohes neues Album »Life« eingespielt, das eigentlich den Fokus auf zeitgenössische Musik legt und inhaltlich um das Thema Mutterschaft kreist. Aber nicht nur. Genauso wollte die Künstlerin die Welt einmal aus einer anderen Perspektive betrachten – mit den Augen eines Kindes. Das Eröffnungsstück »Cambridge« von Jóhann Jóhannsson assoziiert die zweifache Mutter mit einer Geburt: »Es ist so, als würde ein Baby das Licht der Welt erblicken.« Bryce Dessners »Song for Oktave«, verfeinert mit Klavier und elektronischen Elementen, klingt wie ein Schlaflied. Nils Frahms »Hammers« wirkt dagegen rastlos, weil Mütter eben selten zur Ruhe kommen. »Duet« von Steve Reich hat für Mari Samuelsen etwas von einem Streitgespräch, das sie musikalisch mit der Geigerin Soyoung Soon führt: »Wir kommen nie wirklich zusammen.« Dieses Phänomen besitzt laut Samuelsen Symbolcharakter, denn »Kinder und Eltern sind ja nicht immer einer Meinung.« Hania Ranis Komposition ist für Mari Samuelsen wie ein Kaleidoskop – vielschichtig und offen: »Es gibt keine Antworten. So ist auch unser Leben. Man weiß nie, was kommen oder wie sich ein Kind entwickeln wird.« Eines möchte die Geigerin aber auf jeden Fall: ihrem Nachwuchs ein gutes Vorbild sein. »Ich finde es spannend zu sehen, wie sich meine Kinder zu eigenständigen Menschen entwickeln.« Gern beobachtet sie ihren fast zwei- jährigen Ältesten, wie er mit Neugier, Liebe und manchmal auch mit einer gewissen Irritation die Welt entdeckt: »Jeder Tag ist für ihn wie ein unbeschriebenes, weißes Blatt Papier. Mein Sohn wacht jeden Morgen mit großen Augen auf und einfach alles scheint möglich zu sein. Aus der Perspektive einer Erwachsenen finde ich das unglaublich erfrischend.«
Mari Samuelsen
Life
Deutsche Grammophon • 30. August
Eine Mutterschaft beschert einem einiges gleichzeitig: Glück zum Beispiel, aber auch schlaflose Nächte. Kein Wunder, dass Mari Samuelsens Aufnahme voller Kontraste ist. In Max Richters melodischem Stück »She remembers« leuchtet die Geigerin Wehmut aus. Ludovico Einaudis »DNA« gewährt einen Moment der Entspannung, in dieses Stück kann man sich einfach fallenlassen. »Sapias«, das Olivia Bellis eigens für dieses Album komponiert hat, wirkt wie eine zärtliche Umarmung. So geht es mit »Life« durch ein Wechselbad der Gefühle.
Dagmar Leischow