Musik

20.05. | Album der Woche

Tigran Hamasyan • StandArt

Nonesuch

Alles ist alles

Jazz ist Improvisation und Freiheit – und im Zweifel sogar Pop. Das behauptet zumindest der aus Armenien stammende Weltklasse-Pianist Tigran Hamasyan.

Tigran Hamasyan, Sie haben im Alter von 13 Jahren Chick Corea kennengelernt. Wäre Ihr Leben ohne dieses Treffen anders verlaufen?
Das ist tatsächlich möglich. Es war auf jeden Fall ein einschneidendes Erlebnis für mich, Chick Corea auf dem Yerevan-Jazz-Festival kennenzulernen. Besonders toll war, dass sich abends noch die Gelegenheit ergab, mit seiner Band zu jammen.

Wie kam es dazu?
Seine Musiker gingen abends in den Club, in dem ich spielte. Nach einer Weile kamen sie auf die Bühne und starteten eine Session mit mir – wir spielten die ganze Nacht durch. Es war unglaublich!

Vor allem für einen 13-Jährigen…
Eben! Meine Eltern hatten zum Glück Verständnis dafür. Sie wussten, dass das einer dieser raren Momenten im Leben eines Menschen ist. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar. Vor allem, da mir dieser Abend die Augen geöffnet hat: Nach dieser Erfahrung habe ich noch mehr geübt, da ich eine klare Vision von dem bekam, was ich musikalisch machen möchte.

Beispielsweise ein Album wie „StandArt“ aufnehmen – auf dem Sie Standards und Straight Ahead-Jazz anbieten.
Genau: puren Jazz. Und die Voraussetzungen dafür waren wirklich gut. Wir haben die CD in Los Angeles aufgenommen, mehr oder weniger komplett live. Es fühlt sich einfach anders an, wenn alle Musiker gleichzeitig spielen. Der berühmte magische Moment. Den wollte ich festhalten.

Haben Sie schon als Kind Jazz gehört?
Nein, aufgewachsen bin ich vor allem mit Classic Rock. Ich mag die Beatles und ich habe auch viel Hard-Rock gehört – Bands wie Led Zeppelin und Black Sabbath. Den Einfluss dieser Acts hört man noch auf meinen früheren Alben.

Warum ist Jazz als musikalische Ausdrucksform so interessant für Sie? Weil es um Improvisation geht. Es ist eine Musik mit vielen Freiheiten – mit Freiheiten des Ausdrucks, aber immer innerhalb bestimmter Regeln. Man kann seine eigene Welt in die Improvisation einbringen, was meinen armenischen Wurzeln sehr zugutekommt.

Einige Jazz-Musiker flirten mit dem Pop und verdienen damit eine Stange Geld. Wie stehen Sie dazu? Nun, ich sehe das so: Im 21. Jahrhundert ist ja irgendwie alles Pop. Alles kann Pop sein, alles kann alles sein, alle Genres gehen ineinander über. Das ist großartig. Deshalb denke ich nur in dieser einen Kategorie: entweder berührt mich Musik – oder sie berührt mich nicht.

Tigran Hamasyan
StandArt

Nonesuch, 29. April

„Jazz ist Freiheit“, sagt Tigran Hamasyan. Eine Freiheit, die sich der in Italien lebende Musiker nimmt, um beispielsweise den gut abgehangenen Jazz-Klassiker „All The Things You Are“ bis an den Rand der harmonischen Unkenntlichkeit zu interpretieren – oder bei „Big Foot“ einen Vier-Viertel-Takt so weit zu synkopieren, dass man an ungerade Polyrhythmik denken muss. Große Kunst ist das. Und das gilt für das gesamte Album, bei dem ihm – neben bewährter Band – Jazz-Prominenz vom Schlage Mark Turner, Joshua Redman und Ambrose Akinmusire zur Seite stand.


Foto: David Monteleone

Gunther Matejka