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19.02. | DVD der Woche

Ein Wunder

Ein WunderBlutiges Wunder

EIN WUNDER

Eurovideo • 01. Februar

Niccolò Ammaniti flechtet aus Verkommenheit, Politik und Religion einen blutgetränkten Dornenkranz und reüssiert mit seinem Serienexperiment.

In einem krisengeschüttelten Italien weint eine Marienstatue literweise Blut. Ein echtes Wunder, denn es lässt sich nicht wissenschaftlich erklären. Mit dem Leitthema seines „Wunders“ ist Drehbuchautor Ammaniti in bester Gesellschaft: Aktuell tauchen immer wieder neue Produktionen auf, die religiöse Erscheinungen für sich entdeckt haben. Nicht nur Amazon („Hand of God“) und Netflix („Greenleaf“), sondern auch das dänische Fernsehen („Die Wege des Herrn“) blinzeln in das trübe Grau von Glauben und Gottesfurcht und verbinden religiöse und politische Themen. In Italien sind Wunder Chefsache: Premierminister Fabrizio lässt die mysteriöse Statue genauestens untersuchen – sie ist aus Plastik, die DNA des Blutes gehört zu einem männlichen Kaukasier und nur das Einfrieren der Statue hält den Blutstrom auf. Das Serienformat, so Ammaniti, biete den perfekten Aufbau, um Dynamik und Tempo seiner Erzählung abzubilden. Die große Stärke der ARTEProduktion ist dann auch folgerichtig ein rasanter Wechsel aus Figuren, religiösen Motiven und einem zart ermahnenden Zeigefinger, der Italien kurz vor einem Ausstieg aus der EU, die römische Regierung als von persönlichen Schicksalsschlägen gebeutelt und den präsenten Priester als verkommenen Widerling porträtiert. Der nicht nur wegen Guido Caprino und Elena Lietti grandiose Cast brilliert in einem Tableau aus Drogensucht, Prostitution, Ehekrisen und Mordfällen, sodass die Marienstatue zeitweise nurmehr als roter Faden durch die Erzählung dient. Gekonnt sind religiöse Motive, wie die Anbetung des goldenen Kalbs, die Hiobsbotschaft und die zehn Gebote in den narrativen Teppich gewebt. Um das Serienvergnügen bei all der thematischen Dramatik und zeitweise auch Tragik nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen, ergänzen traumhafte Sequenzen mit surrealen Elementen und ein Soundtrack die Erzählung, der zwischen melancholischen Geigen und gut platzierten Pop-anleihen changiert. Straff durchgetaktet entwickeln die acht Episoden eine Vielfalt, bei der die Guten mit stets beschwerten Gewissen durch immer neue Krisen wandern müssen. Klug erzählt und an den richtigen Stellen mit offenen Enden ausgestattet, ist die italienische Produktion ein glanzvoller Vertreter von Serien, die die besten Seiten des Formats und dessen Offenheit für Experimente bebildern. Einziger Wermutstropfen: Die deutsche Synchronisation bleibt leider etwas hohl und dämpft die darstellerische Wucht.

FAZIT: Die Verknüpfung von religiöser wie politischer Verkommenheit mit individuellen Schicksalsschlägen und einem echten Wunder beschert dem Zuschauer eine agile Erzählung mit großartiger Besetzung. Kombiniert mit ästhetischer Inszenierung, narrativer Komplexität und mahnender Aktualität ist „Ein Wunder“ eine rundum gelungene TV-Produktion.

Marina Mucha