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18.11. | Album der Woche

Esbjörn Svensson Solo • Home.S.

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18.11. | Album der Woche - Esbjörn Svensson Solo • Home.S.

Foto: Katharina Grip Höök

Esbjörn Svenssons Vermächtnis

In den Nullerjahren war E.S.T. die wohl erfolgreichste Jazzband Europas. Das schwedische Trio stand auch für Rock und elektronische Musik. 2008 starb Pianist Esbjörn Svensson unerwartet. Nun hat seine Witwe eine Entdeckung auf einer jahrelang unangetasteten Festplatte gemacht: ein verschollenes Soloalbum. Wir haben mit ihr über diesen bedeutsamen Fund gesprochen.

Eva Svensson, es ist nun mehr als 14 Jahre her, dass Ihr Mann Esbjörn bei einem Tauchunfall in den Schären Stockholms ums Leben kam. Wie sind Sie damals damit umgegangen?
Für mich war es wichtig, so normal wie möglich weiterzuleben. Für etwas Neues hatte ich keine Kraft. Ich bin grundsätzlich eine pragmatische Person und mit dieser Einstellung durch die ersten Monate gekommen. Essen, Einkaufen, Schule, die alltäglichen Dinge haben unsere Kinder und ich ohnehin oft ohne Esbjörn gemacht, weil er so viel unterwegs war. Daher war der Alltag gar nicht so viel anders für uns – das hat es manchmal einfacher gemacht. Es dauerte jedoch sehr lange, bis ich mit seinem Tod einigermaßen umgehen konnte. Ich habe ein ganzes Jahr lang nicht gearbeitet.

Sie sind Lehrerin. Wie haben Sie es geschafft, zurück ins Leben zu finden?
Indem ich als Gärtnerin zu arbeiten begann. In einem Garten verändert sich ständig alles. Ich dachte mir oft: Wie wunderschön, jetzt ist es die schönste Zeit draußen! Dann kam eine neue Jahreszeit, und die kam mir wieder wie die schönste vor. Da habe ich endgültig begriffen, dass die Natur das gesamte Jahr über eine große Anziehungskraft besitzt und wie viel Freude es mir bereitet, mit ihr zu arbeiten. Mein dortiger Chef hat mich sehr unterstützt. Wenn ich einen besonders schwierigen Tag hatte, schlug er mir vor, die negativen Gefühle einfach gemeinsam bei der Arbeit zu verdrängen. Das hat mir sehr geholfen. Ich habe insgesamt sieben Jahre als Gärtnerin gearbeitet.

Wie oft haben Sie in der Zeit Esbjörns Musik gehört?
Immer mal wieder. Sie hat mich getröstet, und das tut sie immer noch. Der Raum füllt sich – mit seiner Stimme. So halte ich Kontakt zu ihm.

Wie sind Sie auf die Aufnahmen gestoßen, die nun auf dem Album „HOME.S.“ zu hören sind?
Ein paar Wochen nach Esbjörns Tod bat ich seinen Toningenieur Åke Linton, alle Datenträger zu sichern. Åke kopierte sie und meinte: „Es könnte sein, dass da noch etwas Interessantes drauf ist, aber lassen wir es einfach dort.“ Erst 2018 habe ich wieder darauf geschaut und bin zu Åke gefahren.

Was genau befindet sich auf diesen Festplatten?
Vieles hat überhaupt keinen Titel. Aber ein Ordner hieß „Solo“. Und darin waren genau die neun Songs, die jetzt auf dem Album sind, in derselben Reihenfolge. Die Tonqualität der Aufnahmen ist großartig! Åke und ich waren überrascht darüber, dass die Musik existierte und so wunderschön war. Die Stücke schienen einander zu folgen wie Perlen auf einer Kette. Nachdem wir eine Weile nur dagesessen hatten, waren wir uns einig: Das ist wirklich gut und muss veröffentlicht werden.

Esbjörn hat die Songs offenbar ganz allein in seinem Studio aufgenommen. Wann war das?
Die Aufnahmen stammen aus der Zeit kurz vor seinem Tod, das kann man an den Daten der Computerdateien erkennen.

Die neun Songs auf „HOME.S.“ klingen alle unterschiedlich, es gibt Blues, es gibt jazzige Improvisationen, manches klingt nach Bach.
Ja, ich finde auch, dass es insgesamt nach den alten Meistern klingt. Claude Debussy höre ich auch heraus. Ich glaube aber nicht, dass er absichtlich versucht hat, so zu klingen. Sein Spiel hat sich ja immer wieder verändert. Haben Sie Ihn eigentlich zu Lebzeiten beraten?
Nun, das wäre ein großes Wort. Ich sagte ihm aber immer ehrlich, was ich dachte. Anfangs machte er Pop und wollte Hits schreiben. Ich merkte, dass er da nicht mit dem Herzen dabei war. Wohin zieht es dich wirklich? Darüber sprachen wir, das war ein längerer Prozess.

E.S.T., Esbjörns Trio mit Dan Berglund am Bass und Magnus Öström am Schlagzeug, spielte bis 2008 weltweit in großen Hallen. Hat ihn das Touren gestresst?
Es hat ihn nicht gestört. Er liebte es, sein Publikum kennenzulernen. Natürlich stiegen die Erwartungen und der Druck, als sie vor Tausenden spielten. Aber er wusste, welche Kraft seine Musik hatte. Und was sie als Band machen wollten. Er arbeitete immerzu und wollte neue Wege finden, seine Gefühle auszudrücken. Ganz generell: Warum sollte man Esbjörn Svensson hören?
Sein Klavierspiel war einzigartig. Er hat alles gespielt, mit Klängen experimentiert, und mit allem, was sich im Raum um ihn herum befand. Er WAR schlichtweg Musik.

Esbjörn Svensson – Home.S.
ACT Music, 18.November

In den Liner Notes zum Album „Live in Hamburg“, das seine Band E.S.T. 2006 an der Elbe einspielte, schreibt Esbjörn Svensson, wie er sich auf das Konzert vorbereitet hatte. Der Flügel sei ihm so wunderbar vorgekommen, dass er zur Übung ein wenig Bach gespielt hätte, Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“. Svensson mag wie kein zweiter vor ihm Rock, Clubmusik und Jazz verknüpft haben – er war immer auch ein Klassik-Liebhaber. Nun erscheint zum ersten Mal überhaupt ein Soloalbum, dass diese unbekannte Seite des viel zu früh verstorbenen Pianisten zeigt. Doch auch schwedische Folklore, lyrisch Verträumtes und Blues finden sich auf „HOME.S.“ (die letzten Buchstaben stehen für Esbjörn Svenssons Initialen). In „Gamma“ hört man ihn leise mitsummen wie sein Vorbild Keith Jarrett. Dies ist kein „Köln Concert“ – aber mindestens ebenso bewegend.

Jan Paersch