Literatur

18.08. | Buch der Woche

Doris Knecht • Die Nachricht

Hanser Berlin

Asoziale Medien

Über das Grenzgebiet zwischen dem Internet und der vermeintlich realeren Welt hat Doris Knecht einen in mehrfacher Hinsicht beklemmenden Roman geschrieben.

Nachdem die Drehbuchautorin Ruth ihren Mann verloren hat, meint sie, das größte Schreckensszenario ihres Lebens bereits überstanden zu haben. In der Ruhe ihres idyllisch gelegenen, selbstgebauten Hauses ist sie der Mittelpunkt eines intakten Freundeskreises, einer liebevollen Patchworkfamilie und seit Neuestem auch der Avancen eines interessanten Kinderpsychologen. Ruth nutzt wie selbstverständlich Whatsapp, Instagram, Twitter und Co, die Botengänger der vernetzten Welt, mit denen sich bequem Termine absprechen, Pizza bestellen und Taxis rufen lassen. Dann fängt es mit den Textnachrichten an. Immer von neuen Accounts aus, immer unter einem anderen Fantasienamen, mal männlich, mal weiblich. Eine Zurückverfolgung ist unmöglich, sagt die befreundete IT-Expertin, aber einfach ignorieren kann Ruth sie auch nicht. Die Nachrichten bestehen aus kurzen Sätzen, bösartig und beleidigend, und sind voller kruder sexueller Herabwürdigungen, die augenscheinlich das Selbstvertrauen der Adressatin unterwandern sollen. Unheimlicherweise enthalten die Botschaften außerdem Details, die so privat sind, dass Ruth sich nicht erinnern kann, sie überhaupt jemals jemandem erzählt zu haben. Entsprechend groß ist das Misstrauen, das sich nun in ihren Alltag schleicht.

Für eine umfassende Bestandsaufnahme der Segnungen und Verheerungen des Internets ist es wahrscheinlich noch zu früh, doch zumindest für Psychologen dürften schon jetzt viele neue Erkenntnisse dazugekommen sein. Die unkontrollierbare Anonymität der virtuellen Sphäre zieht offenbar Hetzer, Stalker, Trolle, Querulanten, Rechtsradikale, Verschwörungsideologen, Kinderschänder und andere Kriminelle magisch an, und auch Frauenfeinde verschiedener Couleur fühlen sich unbeaufsichtigt vor Laptop und Smartphone besonders ermannt. Theoretisch könnten auch Krimiautorinnen vom unerschöpflichen Thema Internetdrangsalierung profitieren, aber Doris Knecht geht es weniger darum, wer die Nachrichten schreibt, die ihrem Roman den Titel geben, als darum, was sie mit der Empfängerin machen. Der Spannung ist das kaum abträglich, denn so bleibt das schleichende Unwohlsein, das wie ein Gespenst im Raum steht, ein stetiges Hintergrundrauschen der Erzählung. Weil Belästigungen und Bedrohungen dieser Art letztlich aber auch nur Symptome einer umfänglicheren Misogynie sind, ist es nur folgerichtig, dass sich „Die Nachricht“ im Verlauf der Geschichte mit verschiedenen anderen Plätzen der Begegnung von Männern und Frauen beschäftigt, an denen ein Machtgefälle etabliert und ausgenutzt wird. Auch hier ist der psychiatrische Blick im Vorteil: Über den Zusammenhang von Ohnmachtsgefühlen auf der einen und Machtmissbrauch auf der anderen Seite gibt es sicher jede Menge spannende Fachliteratur, über die Täter-Opfer-Umkehr, die in Fällen von Online-Mobbing immer wieder bemüht wird, auf jeden Fall auch. Inwiefern man das Internet heute noch wirklich einhegen kann, lässt sich gar nicht mehr genau sagen. Gleiches gilt bis auf Weiteres leider auch für die vielen Facetten menschlicher Niedertracht.

Doris Knecht
Die Nachricht

Hanser Berlin, 256 Seiten

Markus Hockenbrink