Musik

18.06. | Album der Woche

Konstantin Wecker • Utopia

Sturm & Klang

Ratio und Poesie

Mit „Utopia“ nähert sich Konstantin Wecker poetisch einer Wirklichkeit, die in uns steckt, jedoch vom Machterhaltungstrieb der Herrschenden verhindert wird.

Herr Wecker, warum ist es wichtig, von Utopien zu träumen?
Die Idee einer Utopie darf nicht aussterben, sie ist die einzige Hoffnung des Menschen. Getrieben von unserer Gier zerstören wir Menschen seit Hunderten von Jahren alles, was lebt. Utopia ist die Antwort, wie man diese Zerstörung beenden kann.

Im Lied „Utopia“ besingen Sie diesen Ort als „Welt ohne Krieg, ohne Gewalt, ohne Bosse, ohne Herrscher – jeder ist dem anderen Halt.“
Es gab diese Orte ja bereits, lange, bevor Thomas Morus mit seinem Roman den Begriff von „Utopia“ geprägt hat. In den indigenen Kulturen gab es Matriarchate, auch viele nomadische Völker haben das, was wir Utopie nennen, verwirklicht.

Sie singen: „Ihr lebt in einem Albtraum, mein Traum ist die Wirklichkeit.“
Es ist wichtig zu unterscheiden: was ist die Realität und was die Wirklichkeit? Realität ist das, was uns von den Herrschenden als Wirklichkeit verkauft wird. Sie wird geprägt von patriarchaler Herrschaft, von Ausbeutung und Kapitalismus. Und ich sage: Ja, diese Welt ist ein Albtraum. Die Wirklichkeit hingegen ist das, was möglich wäre und wonach wir streben.

Was muss passieren, damit diese mögliche Wirklichkeit zur Realität wird?
Ein Schritt wäre: Weg vom Patriarchat und von den Herrschaftsformen. Kaum ein Begriff wird so sehr missbraucht wie der der Anarchie. Der Gedanke ist grundschön, er steht für eine Ordnung ohne Herrschaft.

Die Kritiker sagen: Sie führt zu Chaos und Gesetzlosigkeit.
Diesen Floh hat uns der Neoliberalismus ins Ohr gesetzt. Er kommt nicht mit der Tatsache klar, dass der Mensch von Grund auf ein gutes, empathisches Wesen ist. Also wird uns eingeredet, der Mensch sei so schlecht, dass er dringend einen Herrscher benötige. Dass dieser dann in vielen Fällen deutlich schlechter ist als die Menschen, die er beherrscht – das wiederum wird in den neoliberalen Erzählungen meistens verschwiegen. (lacht)

Hat die Kunst den Job, die Gegenerzählung zu liefern?
Ja, das war schon immer ihre Aufgabe. Nehmen Sie große literarische Werke von Dostojewski oder James Joyce: Literatur, Poesie und auch Musik geben uns Hinweise darauf, wo wir das Menschliche wirklich finden. Nämlich tief in unserem Innersten. Kunst hilft uns dabei, diesen Kern zu entdecken – ohne dabei ständig von Ratio gestresst zu werden. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin unbedingt für die Vernunft. Die Ratio ist wichtig – aber sie ist nicht alles.

Konstantin Wecker
Utopia

Sturm & Klang, 18. Juni

Poesie, Lieder, sogar ein weiterer Talking-Blues an „Willy“: „Utopia“ ist mit seinen 17 Stücken ein perfektes Gesamtpaket für Wecker-Fans. Ausgehend vom Gedanken, wie wichtig es ist, weiterhin an ein „Utopia“ zu glauben, entwickelt der Liedermacher einen Erzählstrang, in dem die Stücke über Freude an der Lyrik auf wütende Anklagen auf Europa und den ewigen Faschismus treffen. Ein Höhepunkt ist das Lied „Das wird eine schöne Zeit“, das zu einem wunderschönen Bläser- und Streicher-Arrangement einen träumerischen Ausblick auf die nahe Zukunft bietet.


Foto: Thomas Karsten

André Bosse