Literatur
17.12. | Hörbuch der Woche
Heinz Strunk • Zauberberg 2
Tacheles!
Heinz Strunk
Zauberberg 2
ungekürzte Autorenlesung
Tacheles!, 6 Std. 57 Min.
Der frische Funke
23 Jahre nach den »Buddenbrooks« schrieb Thomas Mann sein zweites, einige würden sagen, sein eigentliches Magnum Opus. Zum hundertjährigen Jubiläum hat Heinz Strunk eine Neufassung gewagt und selbstverständlich auch selbst eingelesen.
»Nur der Meister kann es«, antwortet der Autor, Schauspieler, Satiriker und Regisseur im kurzen Gespräch in der ihm eigenen Mischung aus Ironie und provokantem Selbstbewusstsein. »Oder will das etwa jemand mit der Stimme von Christian Brückner hören?« Man fragt sich angesichts dieser Haltung sowie Strunks einzigartiger Karriere, welche Rolle er in dem Figuren-Ensemble von Thomas Manns Original eingenommen hätte. Vielleicht die des sinnlich-atavastischen, lauten Mynheer Pieter Peeperkorn, hinter dessen scheinbar lebensbejahender Wucht sich suizidale Schwermut verbirgt? Oder doch die des Aufklärers, Freimaurers und Skeptikers Lodovico Settembrini, der den Protagonisten Hans Castorp dazu anregen möchte, das Sanatorium zu verlassen und seinem morbiden Sog nicht zu erliegen, den wir als Lesepublikum schon früh bemerken und nahezu in Thriller-Spannung geraten, da Castorp selber die Zeichen übersieht.
Der Hans Castorp von Heinz Strunk heißt Jonas Heidbrink. Kaum dreißig, hat er als erfolgreicher Start-up-Veräußerer rein materiell bereits für sein Leben ausgesorgt, hängt seelisch allerdings in den Seilen. Die Klinik in der mecklenburgischen Provinz, in die er sich daher einweist, beschäftigt sich mit dem, was heute so verbreitet und »angesagt« ist, wie es zu Thomas Manns Zeiten die Lungenerkrankungen waren – psychologische und psychosomatische Schäden. Strunk liest die abgründigen Abenteuer, die sein Protagonist in Anlehnung an Thomas Manns Klassiker hier erlebt, mit dem hanseatischen Schnodder, der etwa auch Sven Regeners Hörbuchfassung von Franz Kafkas »Der Prozess« zu etwas ganz Neuem machte, freilich ohne, dass dafür ein ganz neuer Text nötig war. Zugleich darf man sich »Zauberberg 2« (ohne ein »Der«) nicht nur als dunkle Komödie vorstellen, die wenig Wert auf den literarischen Schmelz legt. Denn auch, wenn Strunk seinen »Zauberberg« in nur 288 Seiten zuende bringt (Manns Original hatte 1008), hat er Zeit für Beschreibungen wie diese: »Das Gesindehaus liegt versteckt hinter einer Wand aus Minitannen. Die Nadelbäume sind so schwer mit Eis überzogen, dass sie aussehen wie große, vereiste Zipfelmützen. Graues Licht schmiert über den Himmel wie Salbe durch einen Verband.«
Mit dem dichten, klassisch literarischen Sound geht dennoch der vertraute Strunk’sche Humor einher, vor allem in der satirischen Verarbeitung von Menschentypen und therapeutischen Ansätzen. »Knie über der Waagerechte nach vorne führen. Ausfallschritte. ›Mobil wie ‘ne Wanderdüne!‹ Evas Repertiore an Fitnesshumor ist unerschöpflich. Auf einem imaginären Seil laufen. Beine spreizen. Na, die hat gut reden. Seitbeuge. Knuts verschmierte Brille ist nach vorn gerutscht. Sein Kopf dampft wie ein Blumenkohl im Schnellkochtopf.« Zugleich bietet der Roman eine angenehme Erdung, mit ganz handfesten Krisen wie ausweglosen Sparmaßnahmen. Seminarleiter an literarischen Instituten dürfen den Text zudem in Zukunft als Muster für natürliche, glaubhafte Dialoge heranziehen. Von berufener Stelle hat Strunks Roman bereits den Ritterschlag erhalten. Der Autor bleibe »sich beim Schreiben treu«, konstatiert Prof. Hans Wisskirchen, der Präsident der deutschen Thomas Mann Gesellschaft, und habe zugleich einen ›neuen Zauberberg‹ geschaffen, »an dem auch Thomas Mann seine Freude gehabt hätte.« Angesichts der von Strunk geäußerten Vermutung, dass »kaum jemand den Zauberberg komplett gelesen hat«, dürfte diese neue Version in ihrer würzigen Kürze auch den Funken für die Lektüre des Originals geben.
Oliver Uschmann