Kino

17.10. | Kinostart der Woche

Parasite

Koch • 17. Oktober

Eine arme südkoreanische Familie unterwandert das Leben einer reichen. Für Bong Joon-hos herbe Gesellschaftskritik gab es in Cannes die Goldene Palme.

„Geld ist wie ein Bügeleisen, mit dem sich alle Falten glätten lassen“, sagt Frau Kim. Aphorismen wie diese dürfte sie eigentlich nur vom Hörensagen kennen, denn Geld besitzen sie und ihre Familie kaum, dafür aber umso mehr Falten. Tatsächlich hangeln sich die vier von einem Gelegenheitsjob zum nächsten, zwischendurch muss sogar das Zusammenbasteln von Pizzakartons als Einkommensquelle herhalten. Trotz ihrer prekären Situation hält Familie Kim zusammen wie eine Räuberbande und teilt sich dabei eine bauernschlaue Lebensanschauung, die kleinere Betrügereien einschließt: Gratis-Internet vom Nachbarn, ergaunertes Essen in der Kantine. Auch ein gewisses Talent zur Hochstapelei ist den Kims gemeinsam, und das kommt erstmals so richtig zur Geltung, als sich der Sohn eine Stelle als Nachhilfelehrer in einem wohlsituierten Haushalt erschleicht. Familie Park ist dermaßen angetan von dessen schöngeistigem Engagement, dass sie sich von ihm eine Kunsttherapeutin mit unwahrscheinlich guten Zeugnissen vermitteln lässt, die zufälligerweise denselben Heimweg hat. Nun brauchen nur noch Vater und Mutter Kim einen Job.

In der südkoreanischen Gesellschaft hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine recht unbedarfte und einseitige Beziehung zum Kapitalismus etabliert. Offiziell gilt der öffentliche Respekt weiterhin einem traditionell aufopferungsvollen Arbeitsethos, in Wirklichkeit werden bloß Erfolg und Reichtum verherrlicht und Armut und ihre Ursachen verdrängt. In einem Land, das den Wechselkurs seiner Währung ändert, sobald es dem Samsung-Konzern schlecht geht, führt das zu kollektiven Neurosen, die aktuell von einheimischen Filmemachern seziert werden. Erst letztes Jahr geißelte Regisseur Lee Chang-dong die vorherrschenden Verhältnisse in seinem zärtlich-brutalen Zeitlupenthriller „Burning“, nun tut es ihm Kollege Bong Joon-ho gleich. Bong ist sowohl für satirische Monsterfilme („The Host“) als auch für Hochspannung à la Hitchcock („Mother“) bekannt, für „Parasite“ kombiniert er seine Fähigkeiten zu einem Genre-Hybriden, in dem nichts ist, wie es zu sein scheint. Die Kunst des doppelten Bodens wird dabei auf neue Höhen geführt, denn „Parasite“ ist eine sehr filmische Lust zu eigen, gleichzeitig zu unterhalten und zu verstören. Am Ende steht eine fotogene Eskalation, bei der zwei Welten auf eine Art aufeinanderprallen, bei der kein Bügeleisen dieser Welt noch helfen kann.

FAZIT: Die Goldene Palme von Cannes wurde zu Recht verliehen, Bong Joon-ho zementiert seinen Ruf als Regiegröße. „Parasite“ ist ein intelligenter und unterhaltsamer Gesellschaftskommentar, der die Stärken mehrerer Genres ausspielt. Überraschende Wendungen sorgen bis zum Schluss für Spannung, und zwischen garstig und gutmütig ist in puncto Humor jede Schattierung dabei. MARKUS HOCKENBRINK