Literatur

17.04. | Buch der Woche

Ruth Schweikert • Tage wie Hunde

RUTH SCHWEIKERT

Tage wie Hunde

S. Fischer • 208 Seiten

Bei der Autorin Ruth Schweikert wurde 2016 Brustkrebs diagnostiziert. Über ihre Erkrankung hat sie ein überaus persönliches Buch geschrieben. interview: marina mucha

Frau Schweikert, hat das Schreiben Ihres Buches die Beziehung zu Ihrer Erkrankung verändert?

Das Schreiben ist eine Art Erwiderung, keine Waffe, aber zumindest eine Art, mit der Krankheit umzugehen, ihr etwas entgegenzustellen. Mit der Diagnose wird eine Fremdzuschreibung an der eigenen Person vorgenommen. Man ist dann vor allem eines: krebskrank. Dieser Definition habe ich die Kraft meiner eigenen Sprache und Imagination entgegengesetzt. Natürlich hat mich das Schreiben auch dazu gezwungen, mich mit der Diagnose auseinanderzusetzen, intensiver vielleicht, als wenn ich eine andere Tätigkeit ausüben würde. Zugleich war es eine absolute Notwendigkeit für mich.

Hatten Sie das Gefühl, Sie würden sich dadurch etwas von der Seele schreiben?

Die Vorstellung, man könne sich etwas von der Seele schreiben, widerspricht meiner Erfahrung. Aber es ist sicher eine Form der Selbstermächtigung. Manche Menschen sehen den Krebs als Feind. Das Bild passt für mich nicht; der Krebs ist ja Teil des eigenen Körpers, ein fremder Teil meiner Selbst. Mit dem Schreiben kann ich mich dieser Fremdheitserfahrung nähern, sie umdeuten und so neue Möglichkeitsräume eröffnen.

Durch die Diagnose scheint sich die Zeit in Ihrem Buch immer wieder auszudehnen. Wie verhalten sich das Schreiben und die Zeit zueinander?

Das ist sicher eine Frage, über die man Bücher schreiben könnte. Die Vergegenwärtigung der Minuten des Wartens, bevor die Ärztin mich anrief, um mir das Ergebnis der Biopsie mitzuteilen war besonders ergiebig. » Der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahn «, wie der dänische Philosoph Kierkegaard sagte. Das bedeutet, dass die vorherige Zeitspanne sich beinahe ins Unendliche ausdehnt. Umgekehrt lässt das Beschreiben dieser Zeitspanne, der Erinnerungen an diesen einen Moment, die Wahrnehmung der Zeit in den Hintergrund treten, weil man währenddessen ganz im Schreiben versinkt. Immer wieder finden sich im Buch Passagen, die unmittelbar abbrechen. In meinen Augen ist das weniger ein Abbrechen, als ein » in der Luft hängen bleiben «. Etwas bleibt in der Schwebe, es gibt keinen Schlusspunkt. Das Aushaltenmüssen dieses Schwebezustands ist eine Grunderfahrung dieser Krankheit. Ich kann nicht jeden Tag zum Arzt rennen und mir versichern lassen, dass alles in Ordnung ist. Im Angesicht der Endlichkeit des Lebens verstärkt sich die Wahrnehmung dieser ungewissen Schwebezustände.

Neben diesen literarischen Schwebezuständen lassen Sie auch Kurznachrichten in die Erzählung einfließen.

Ich wollte von Anfang an das Verhältnis zwischen der Sprachlosigkeit, die einen angesichts einer solchen Diagnose überfällt und der höchst gestalteten Sprache der Literatur abbilden. Ohne das in irgendeiner Form abwerten zu wollen: Mitgefühl wird oft floskelhaft ausgedrückt. Zwischen den ungeformten und von Rechtschreibfehlern durchzogenen Nachrichten, die man schnell getippt hat und Abschnitten, über denen ich tagelang gebrütet habe, entstehen jene Sprach- und Spannungsräume, die das Buch hoffentlich weit über das Thema » Krebs « hinaustragen.