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17.01. | Kinostart der Woche

Fahrenheit 11/9

Fahrenheit 119FAHRENHEIT 11/9

Weltkino • 17. Januar

Pünktlich zur Halbzeit von Donald Trumps erster Amtszeit als US-Präsident untersucht Michael Moore, der polemischste und prominenteste Dokumentarfilmer der amerikanischen Linken, mit Wut und Witz, wie es soweit kommen konnte und womöglich weitergeht. Wir sprachen mit dem Oscar-Gewinner über einige bekannte und manch überraschende Erkenntnisse, die er in „Fahrenheit 11/9“ präsentiert.

Mr. Moore, in den USA kam „Fahrenheit 11/9“ pünktlich zu den Midterm-Wahlen in die Kinos. Ist der Film womöglich einfach ein überlanger Wahlwerbespot?

Absolut nicht, denn ich sage meinem Publikum nicht, wen es wählen soll. Aber natürlich ist der Film auch eine Ermutigung dazu, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln, wählen zu gehen und idealerweise damit etwas am Status Quo zu ändern. Gleichzeitig will ich aber auch betonen, dass ich meine Filme nicht ausschließlich zu diesem Zweck drehe. In erster Linie geht es mir nicht um Aktionismus, sondern um das Kino. Ich verstehe mich als Künstler.

Man kann im Film klar erkennen, dass Sie durchaus große Hoffnungen in junge Menschen, also die neue Wähler- und Aktivistengeneration setzen...

Dabei hassen die Kids diese Erwartungshaltung. Verständlicherweise! Wir fahren die Welt gegen die Wand und jetzt setzen wir unsere Hoffnung in sie, damit sie retten, was zu retten ist. Aber ich bin hoffnungsvoll, wenn ich sehe, was diese jungen Menschen gerade alles tun. Denn tatsächlich stehen sie ja nicht nur für Hoffnung, sondern längst auch für Taten. Nach dem High School- Massaker von Parkland haben diese Jugendlichen die größte Demonstration in der Geschichte von Washington D.C. organisiert. Sie bekamen ein bisschen Hilfe, George Clooney etwa gab ihnen eine halbe Millionen Dollar, um all die Genehmigungen und Bühnenaufbauten zu bezahlen, und einige Organisatorinnen des Women’s March waren ihre Beraterinnen. Aber alles andere haben sie selbst gemacht. Wer eine solche Tragödie überlebt, begnügt sich nicht mit Gedenken und Gebeten, sondern fängt an, für Veränderungen zu kämpfen.

Sie kritisieren nicht nur Trump und die Republikaner, sondern auch die Demokraten kriegen ihr Fett weg. Warum verschonen Sie nicht einmal Obama?

Ich liebe Obama, aber es wäre falsch, ihn zum Helden zu stilisieren. Meiner Meinung nach schließt sich das nicht aus: ich kann Obama mögen und mich über vieles freuen, was er in seiner Amtszeit gemacht hat, aber dennoch enttäuscht und kritisch sein, wenn ich sehe, wie er sich etwa in der Wasserkrise meiner Heimatstadt Flint verhalten hat. Oder in Sachen Drohnenkriegsführung. Man sollte in politischen Diskussionen unbedingt zulassen, dass zwei grundverschiedene Gedanken trotzdem beide richtig sein können. So funktionieren doch auch gute Ehen: Man hat Meinungsverschiedenheiten und lebt dennoch friedlich unter einem Dach.

Haben Sie eigentlich schon was von Gwen Stefani gehört?

Noch nicht. (lacht) Die Arme! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass diese Stelle des Films so viel Beachtung finden würde. Denn natürlich ist Gwen Stefani, anders als ich es im Film behaupte, nicht wirklich alleinverantwortlich dafür, dass Trump Präsident wurde. Aber die Tatsache, dass sie als Frau für ihre Fernsehsendung mehr Honorar bekam als er für seine, war wohl tatsächlich der allererste Auslöser für seine Kandidatur. Also hielt er diese beiden Großveranstaltungen ab, um sich und allen anderen zu beweisen, wie sehr Amerika ihn liebt. Als er seine Kandidatur bekannt gab, war er nicht wirklich an all der Arbeit interessiert, die es für das Präsidentenamt braucht. Doch dann haben die jubelnden Massen ein Feuer in ihm entfacht – und so ging alles seinen Weg.

Irritiert es Sie, dass die republikanische Partei das mitgemacht hat und noch immer tut?

Nein, schließlich profitieren diese Leute von Trump. Sie verdanken ihm enorme Steuererleichterungen, die verhasste Obamacare hat er auch fast ausgehebelt und im Supreme Court hat er wirtschaftsnahe Rechte platziert. Warum also sollten sie oder irgendwelche Firmenbosse sich ihm entgegenstellen? Für die läuft doch alles super. 2019 ist es 30 Jahre her, dass Sie Ihren ersten Film „Roger & Me“ in die Kinos brachten.

Haben Sie damals damit gerechnet, dass Sie so viel später noch immer für die mehr oder weniger gleichen Dinge kämpfen müssen?

Vor allem habe ich damals gedacht, ich würde mit über 60 keine Haare mehr haben. Von daher bin ich erst einmal positiv überrascht. Alles andere nehme ich einfach, wie es kommt. Und sicher ist: Es wird immer etwas geben, um das man kämpfen muss! Interview: Patrick Heidmann

FAZIT: Vieles in „Fahrenheit 11/9“ ist dem interessierten Zuschauer längst bekannt, nicht nur die politischen Tatsachen, sondern auch, was Moores Herangehensweise angeht. Wen das so wenig stört, wie die beträchtliche Selbstdarstellung des Regisseurs, der darf sich auf ein gleichermaßen humorvolles wie oft erschütterndes, leidenschaftliches und akut relevantes Film-Pamphlet freuen.