Literatur

16.09. | Buch der Woche

Ilija Trojanow • Doppelte Spur

S.Fischer

ILIJA TROJANOW
Doppelte Spur

S. Fischer • 239 Seiten

Wahrscheinlich echt

In Ilija Trojanows Polit-Thriller » Doppelte Spur « gehen zwei investigative Journalisten den kriminellen Machenschaften der Mächtigen dieser Welt auf den Grund.

»In einer Welt, in der die Wahrheit nicht mehr zugänglich ist, muss sich ein jeder seinen eigenen Reim auf die Rätselhaftigkeit der Entwicklungen machen«, räumt Ilija Trojanows journalistisches Alter Ego ein, nachdem es ein Buch mit exklusiven Enthüllungen über die Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen und der Politik veröffentlicht hat. Das Buch handelt von betrügerischen Immobilien- und Finanzgeschäften, von wilden Sexparties mit viel zu jungen Mädchen, von Bestechung, Korruption und Wahlkampfmanipulation. Es basiert auf den Leaks eines amerikanischen und eines russischen Whistleblowers. Der Roman erzählt, wie Trojanows Investigativ- Journalist dieser doppelten Spur folgt. Unterstützt wird er dabei von einem Kollegen, den er Boris nennt, und einer Dokumentarfilmerin namens Emi. Je länger sie recherchieren, desto mehr verdichten sich die Hinweise auf die Existenz eines internationalen Netzwerks aus Macht, Korruption und Verbrechen, das bis in höchste Staatsämter reicht. »Alles an diesem Roman ist wahr oder wahrscheinlich« stellt der echte Trojanow seinem Buch voran. Das stimmt auch, betrachtet man die wesentlichen Informationen, die sein fiktives Alter Ego zu Tage fördert. Da ist beispielsweise die illustre Liste mit ehemaligen KGB-Offizieren, Fifa- Funktionären, Staatschefs und CEOs, die alle völlig überteuerte Appartements in einer New Yorker Luxusimmobilie erworben haben, die Donald Trump gehört. Oder die intensiven Bewegungen zwischen den Servern der russischen Alfa Bank und Trumps Wahlkampfteam während des Wahlkampfs 2016, die der Bankdirektor den Medien später als »schreckliche Tortur« wie in einem Kafka-Roman verkauft hat. Oder der Aufstieg eines gewissen Jeffrey Epstein – zweifelsohne eine der stärksten Passagen im Roman –, der erst »in den dunkelsten Grotten des Geldwesens unterwegs war«, um dann einen exklusiven Sexklub zu gründen, in dem er einflussreiche Päderasten und Perverslinge mit minderjährigen Sexsklaven versorgte. Auch die Entstehung der russischen Oligarchie und der Missbrauch staatlicher Instrumente für persönliche Interessen entspricht allseits bekannten Fakten. Allein die Montage und ihre Anreicherung zu einer Whistleblower- Geschichte, in der nur drei Charaktere nicht mit dem Klarnamen genannt, aber erkennbar beschrieben sind, machen »Doppelte Spur« zu einem fiktionalen Text. Mit diesem erzählerischen Ansatz nähert sich der Wiener Autor der Realität aus zwei Richtungen, nämlich denen von Fakten und Fiktion. Er tauscht ihre Rollen und folgt damit der Logik der Gegenwart, in der jeder seine eigene Wirklichkeit schafft. Indem Weltensammler Trojanow die extremsten Beispiele des Machtmissbrauchs der Trumps, Putins und Epsteins zu einem fiktionalisierten Faktenturm anhäuft und verbindet, führt er vor Augen, wie wenig uns diese bekannten Skandale kümmern. Doch was ist nun wahr und was Verschwörung? Das lässt dieser clevere Roman bis zum Schluss offen. Ist das wichtig? Wohl nicht. Denn »in jeder Verschwörungstheorie ist ein Körnchen Fakt, sonst würde sie nicht funktionieren.«

Thomas Hummitzsch