Musik

16.09. | Album der Woche

Die Sterne • Hallo Euphoria

16.09. | Album der Woche - Die Sterne • Hallo Euphoria

Die Endlichkeit erneuern

31 Jahre Die Sterne, aber von Spätwerk oder Retrospektive will Frontmann Frank Spilker nichts wissen. Stattdessen geht es vor allem um Gefühle.

„Was soll das jetzt, Die Sterne kennen wir doch als larmoyante Zeitgeschichte-Kommentierer – und jetzt das?“ Das hast du jetzt aber selbst gesagt, Frank Spilker! Aber natürlich fragt man sich, warum Die Sterne den Eskapismus gerade in der großen Ära der Hiobsbotschaften für sich entdecken. Denn zumindest der Titel ihres dreizehnten (!) Albums „Hallo Euphoria“ deutet darauf hin. Also Hand aufs Songwriter-Herz: Was hat es mit diesem Optimismus auf sich? „Es geht auf dem Album darum, dass einen die Euphorie aus dem Nichts überkommt und sie daher vielleicht eher eine chemische Reaktion ist, als mit der Tagesaktualität zusammenzuhängen“, erklärt Band-Kopf Spilker im Zoom-Fenster. Darin sitzt er gerade, von Ordnern und Platten umrahmt, das Interview im Sandwich seiner Steuererklärung. Diese einmal ausgenommen, sieht Spilker sein Leben im Zeichen des Endorphin-Rauschs: „Das ganze Musikmachen hat damit zu tun. Man erreicht schließlich bei den kreativen Prozessen eine veränderte Gehirnchemie, sprich euphorische Zustände.“ So ist die Euphorie für ihn die Währung des Lebens, die man bisweilen sogar dem monetären Vorteil vorzieht. Money can’t buy you happiness. Wobei „happiness“ als Messlatte versagt: „Bestenfalls steckt in jedem Song, auch im traurigen, ein Moment der Euphorie“, erklärt Spilker.

Oder man schmunzelt über die Realität gewordene Dystopie, wie in „Die Welt wird knusprig“. Ein Song, der dem Klimawandel-Protest mit einem sarkastischen Grinsen entgegentritt – oder mitmacht? Man weiß es nicht genau. Aber auch da liefern die Lyrics die Antwort: „Die Sterne haben dir ein Lied zu singen: Nicht dafür und nicht dagegen“. Aber wie geht das denn 2022 überhaupt? „Wir wollten schon immer das Für und Wider einer Situation behandeln, uns in Widersprüche verwickeln. Das wird einem nicht gedankt. Man bekommt oft Unentschlossenheit vorgeworfen, Menschen wollen schließlich geführt werden.“ Keine Lust auf Protestmusik also? „Ich will meine eigenen Erfahrungen zu einer Situation hinzufügen und Leute auf etwas aufmerksam machen. Vielleicht stoße ich dadurch Proteste an.“ Musikalisch ist hier jedenfalls reichlich Raum für Neues, gar für Orchester. Woher dieser Bombast? „Dieses Album ist mit einer unglaublichen Lockerheit entstanden. Niemand hatte Angst vor den Aufnahmen“, sagt Spilker und fügt hinzu: „Das letzte Stück macht mich immer total stolz, weil es mit den Streichern zur Filmmusik wird.“ Euphorie pur.

Die Sterne
Hallo Euphoria

PIAS, 16. September
Am Die-Sterne-Buffet ist „Hallo Euphoria“ das Dessert mit dem ganz großen Sahnehäubchen. Das verführt im Titeltrack und in „Ping Pong“ fluffig-poppig zum Mitwippen und geht selbst externe („Die Welt wird knusprig“) wie auch persönliche („Stellt mir einen Clown zur Seite“) Krisen mit einer herrlichen Leichtigkeit an. Und dann wird das Ganze an den passenden Stellen mit einem Orchester-Topping versehen („Wir wissen nichts“). Unschuldig sind wir alle nicht, aber diese Platte ist Balsam fürs Weltschmerz-Herz.


Foto: Brigitta Jahn

Julia Köhler