Literatur

16.06. | Buch der Woche

Richard David Precht • Künstliche Intelligenz

Goldmann/der hörverlag

Richard David Precht
Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens
Goldmann, 256 Seiten

Hörbuch gelesen vom Autor
der hörverlag, 6 Stunden 47 Minuten

Es gibt zwanzigmal so viele Roboter auf der Erde wie Elefanten, Nashörner und Löwen zusammengenommen, lautet einer der zahlreichen Fakten in „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“. Besorgniserregend daran sei nicht etwa, dass die Maschinen die Weltherrschaft übernähmen. Precht zeigt sich besorgt, die zeitgenössische technische Revolution gerate zu einem weiteren Aufguss des jahrtausendealten, utilitaristischen Märchens, dass alles, was verwertet werden kann, verwertet werden muss – egal, was es kostet. Diese modernere, digitale Version der Geschichte vom ewigen Wachstum beginnt in den späten 1950ern mit einer Gruppe enthusiastischer Wissenschaftler, die in New Hampshire die Artificial Intelligence als Gedankenspiel ins Leben riefen. Bald darauf halten Mainframe-Computer und später Server globalen Einzug und katapultieren die Umweltverschmutzung mit Überhitzung und Elektromüll in die nächste Dimension. Die damals parallel entstehenden Umweltschutz-Bewegungen prangern diese neue Gefahr an, für Ökonomen und zahlreiche Politiker ist sie der Heilsbringer. Richard David Precht, der Tausendsassa unter den deutschen Intellektuellen, der sich über Bildungssysteme genauso gewandt auslassen kann wie über Tierhaltung oder Liebe, dekonstruiert den momentanen gesellschaftsbeherrschenden Glaubenssatz, die totale digitale Transformation sei alternativlos. Gekonnt ordnet er die transformative Sehnsucht des Menschen in ihre zeitgeschichtliche Realität ein. Der Kern bereits des frühen Humanismus war es, nach Höherem zu streben, sich also aus der unmittelbaren, imperfekten Existenz zu befreien und sich, durch Bildung etwa, selbst zu optimieren. Die künstliche Intelligenz kommt diesem Streben heuer sehr gelegen, soll doch auch sie die limitierten humanen Fähigkeiten zu einer posthumanen Überleistung transzendieren – in dieser Version mittels entfesselter digitaler Leistungsfähigkeit. „Die wirkliche Wirklichkeit ist nicht digital“ entgegnet Philosoph Precht, der diesen Essay für die Hörbuchversion natürlich wieder höchstpersönlich eingelesen hat. Zum einen eigne sich ein Algorithmus nicht dazu, typisch menschliche Eigenschaften wie Subjektivität und Emotion überhaupt zu erfassen und zum zweiten, das zeigt die derzeitige Corona-Krise, kann der Mensch sich von seinem biologischen Ursprung ohnehin nicht freimachen.

Miguel Peromingo