Literatur

15.06. | Buch der Woche

James Ellroy • Allgemeine Panik

Ullstein

15.06. | Buch der Woche - James Ellroy • Allgemeine Panik

Ohne Verklärung

James Ellroy gilt als Chronist des abgründigen Amerika. Mit „Allgemeine Panik“ setzt er nun dem realen Privatdetektiv und Tabloid-Redakteur Fred Otash ein fiktives Denkmal.

In der Rückschau verklärt man gern. Etwa die vermeintlich naiven 50er- und 60er-Jahre in den USA. Süße Petticoats, hübsche Diners, ein glamouröses Hollywood, Autos, die aussehen wie Stahl gewordene Manta-Rochen: Ach, was war das alles schön. James Ellroy, geboren 1948 und erst mit 33 Jahren zur Schriftstellerei gekommen, räumt mit dieser Verklärung gründlich auf. Nach einem Beginn als reiner und noch weitgehend erfolgloser Thriller-Autor widmet er seine Geschichten seit seinem ersten Erfolg „Die schwarze Dahlie“ der Ursuppe des amerikanischen Traums. Korruption auf allen Ebenen, Mord und Totschlag, die bitteren Geheimnisse der großen Stars: Das sind die Themen, aus denen seine Stoffe sind. Da kommt ihm ein Fred Otash gerade Recht.

Als Marine-Veteran des Zweiten Weltkriegs machte Otash in der Folge Karriere als eine der wohl gewissenlosesten Figuren in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Dienst als Police-Officer erschien ihm zu banal, und so verließ er den Staatsdienst und wurde Privatdetektiv – im weiteren Sinne. Seine Hauptaufgabe: Die Prominenz aus Film, Musik und Politik ihrer eigenen Vergehen zu überführen und mithilfe des Magazins Confidential, Vorläufer und Archetyp sämtlicher geschmackloser Promi-Magazine, öffentlich an den Pranger zu stellen. Marilyn Monroe, Frank Sinatra, selbst John F. Kennedy: Einige der größten Skandale der USA gehen auf seine Kappe. Dabei ist ihm jedes Mittel recht: Bestechung, Erpressung, Abhör-Aktionen. Die Öffentlichkeit ist begeistert: Otashs Enthüllungsstories verhelfen Confidential zu einer Auflage von zeitweise mehr als fünf Millionen Exemplaren, die, in Wartezimmern und bei Frisören ausliegend, monatlich von bis zu 30 Millionen Amerikanern gelesen wurden. Jack Nicholson setzte ihm ein Denkmal: Seine Rolle als Jack Gittes in „Chinatown“ basiert auf dem Leben von Fred Otash. Fast logisch also, dass Otash auch schon in Ellroys sogenannter „Underworld USA Trilogie“ eine tragende Nebenrolle spielte. In dessen neuem Roman „Allgemeine Panik“ wird er nun zum verstorbenen Protagonisten: Aus dem Fegefeuer heraus, in dem er seit 25 Jahren ausharren muss, berichtet er von den Verwerfungen und Widerlichkeiten seines an Absurditäten reichen Lebens. Es ist eine Tour de Force durch die Kehrseite des amerikanischen Promi-Glamours, mit einem Otash, der stets zwischen vorsichtigem Bedauern und großem Stolz auf seine Lebensleistung changiert. In Ellroys gewohnt atemlosem Duktus, in dem bald jeder Neben- zu einem Hauptsatz wird, rauscht man als Leser durch dieses Leben, das von einer großen Zuneigung für alles Pathologische und Wahnsinnige gekennzeichnet ist. Schön ist das alles nicht, aber spannend bis zum Anschlag.

Ellroys Hang zu diesen hässlichen, blutrünstigen Themen kommt übrigens nicht von ungefähr: Die ersten 30 Jahre seines Lebens verliefen in genau jenen Abgründen, über die er heute schreibt. Die eigene Mutter starb bei einem Sexualverbrechen, er selbst war lange alkohol- und drogensüchtig und zeitweise sogar obdachlos. Kein Wunder, dass Verklärung für ihn keine Option ist.

James Ellroy
Allgemeine Panik

Ullstein, 432 Seiten

Sascha Krüger