15.05. | Kinostart der Woche: Tanz der Titanen

15.05. | Kinostart der Woche - Tanz der Titanen
Foto: Bleecker Street

Die Absurdität der politischen Gegenwart

Stell dir vor, die Welt steht vor ihrem Ende und die Führungselite der westlichen Welt verirrt sich im Wald. Diese schräge Prämisse hat der exzentrische kanadische Ausnahme-Regisseur Guy Maddin für seinen neuen, gemeinsam mit den Brüdern Evan und Galen Johnson inszenierten Film gewählt. Als G7-Gastgeberin und deutsche Kanzlerin mit dabei: Cate Blanchett, die wir in Cannes zum Interview trafen.

Ms. Blanchett, Ihr neuer Film handelt von einem G7-Treffen, bei dem die Führerinnen und Führer der westlichen Welt eine Erklärung angesichts einer globalen Krisensituation abgeben müssen, aber sich schließlich in einem Wald verlaufen. An politischem Sprengstoff ist „Tanz der Titanen“ (engl. Titel: „Rumors“) dennoch nicht interessiert, richtig?
Sagen wir es mal so: Hier hat niemand versucht, einen bedeutungsschwangeren Film mit einer wichtigen Botschaft zu machen. Aber das dürfte von Guy Maddin und seinen Mitstreitern Evan und Galen Johnson auch niemand erwarten. Trotzdem spiegelt „Rumours“ durchaus unsere Realität wider, denn in beiden Fällen gilt, dass man nur noch verrückter wird, je mehr man zu verstehen versucht, in welchem absurden Irrsinn wir gerade stecken.

Absurd trifft es als Beschreibung für den Film ziemlich gut …
Für mich ist „Rumours“ eine Satire und eine Tragödie gleichermaßen, hat aber auch etwas von einer Folge „Scooby-Doo“. Hier trifft Zombie-Film auf mexikanische Seifenoper. Dass jemand sich mit diesem eigenwilligen Tonfall, so verspielt und frech und komplex in einem Film mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandersetzt, habe ich noch nie erlebt. Entsprechend aufregend fand ich das.

Viele Schauspielerinnen und Schauspieler sind es inzwischen leid, öffentlich über politische Themen zu sprechen. Sie auch?
Wir leben in einer hochpolitisierten Welt, und ich verstehe schon, warum man prominente Menschen auch in dieser Hinsicht immer wieder nach ihren Meinungen fragt. Ich finde es nur manchmal etwas frustrierend, dass Politik – sowohl in den Medien als auch meistens für die Politikerinnen und Politiker – heutzutage eher wenig damit zu tun hat, tatsächlich dem Volk zu dienen und echte Maßnahmen umzusetzen. Stattdessen geht es um Manöver und Taktiken, darum, sich zu positionieren und zu verhandeln. Und um Schlagworte, die im 24-stündigen Nachrichtenkreislauf irgendwie länger als für ein paar Minuten verweilen. So wie politische Diskurse heutzutage funktionieren, stehen sie der Umsetzung tatsächlicher Politik meistens eher im Weg.

Was ja durchaus etwas ist, das auch in „Rumours“ offenkundig wird, oder?
Ja, und ich musste dabei an etwas denken, was die ehemalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern vor nicht allzu langer Zeit mal gesagt hat. Die bemängelte nämlich, dass politische Führung angesichts der Rastlosigkeit politischer Prozesse heutzutage so gut wie keinen Raum zur Reflektion bietet. Mal wirklich nachdenken, sei es über Konsequenzen und globale Entwicklungen oder das eigene Tun, ist praktisch unmöglich. Die Chance dazu bekommen die Politiker in unserem Film, die nicht nur mit dem Ende der Welt, sondern auch dem Ende ihrer Karrieren konfrontiert werden, ziemlich unverhofft.

Haben Sie sich Ardern für die Rolle zum Vorbild genommen? Oder doch eher Angela Merkel, weil Sie ja eine deutsche Kanzlerin spielen?
Meine Figur basiert nicht auf Merkel. Außer dass sie beide Brüste haben, haben sie eigentlich nichts gemein. Dass trotzdem jeder diese Parallele zieht, zeigt ja nur einmal mehr, was für eine absolute Ausnahme weibliche Staatenlenkerinnen immer noch sind. Die aktuellen Regierungschefinnen auf der ganzen Welt kann man vermutlich an einer Hand abzählen, ist das nicht bitter?

Sind Sie trotz allem, was Sie gerade beschrieben haben, optimistisch, was die Zukunft angeht?
Ich würde sagen, dass ich eine optimistische Pessimistin bin. So nach dem Motto: Plane für das Schlimmste hoffe auf das Beste. Ich liebe unsere Welt, aber ich würde ihren Zustand nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und mich auch nicht darüber lustig machen. Denn weder das Klima noch die systemische, finanzwirtschaftliche Ungleichheit rund um den Globus sind Grund zum Lachen. Aber natürlich kann man all das satirisch aufs Korn nehmen und dadurch, so wie es „Rumours“ tut, das Publikum zum Nachdenken anregen.


Tanz der Titanen
1 Std. 59 Min.
Man kann wohl sagen, dass Guy Maddin, verantwortlich für Filme wie „The Saddest Music in the World“ oder „My Winnipeg“, selten einen so massenkompatiblen Film gedreht hat wie „Rumours“. Doch das heißt nicht, dass seine Mischung aus Komödie, Horrorfilm und Politdystopie nicht trotzdem schräg, sonderbar und widerborstig, und damit weit vom Mainstream entfernt ist. Im Verlauf der gemeinsam mit den Brüdern Evan und Galen Johnson geschriebenen und inszenierten Geschichte häufen sich irgendwann die Hänger. Und die erhellenden politischen Einsichten bleiben überschaubar. Doch es werden genug gelungene Gags, schräge Figuren und unerwartete Bilder aufgefahren, die – genau wie das prominente Ensemble um Blanchett: Alicia Vikander, Takehiro Hira oder Charles Dance – das Ganze doch ziemlich sehenswert machen.

Patrick Heidmann


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