Musik

15.04. | Album der Woche

Vincent Peirani • Jokers

Der Orang-Utan des Jazz

In der Klassik und im Jazz hat der Akkordeonist Vincent Peirani etliche Preise abgeräumt. Auf seinem neuen Album experimentiert er mit Rock und Elektronik.

Vincent Peirani, wie würden Sie die Musik nennen, die Sie auf „Jokers“ spielen?
Man kann das schon Jazz nennen – wir improvisieren ja. Aber es gibt viele verschiedene Einflüsse: aus asiatischer Musik, aus dem Rock’n’roll, dazu kommen die elektronischen Sounds – das alles ergibt die gewisse Würze. Während der Pandemie habe ich viel britischen HipHop gehört – auch er hat das Album beeinflusst.

Wer an das Akkordeon denkt, hat ja eher Tango und Ähnliches im Ohr...
Nun, ich spiele dieses seltsame Instrument ja schon sehr lange und habe nie nur typische Akkordeon-Sachen gemacht. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit 16 in meinem Zimmer saß und unbedingt zwei Dinge spielen wollte: Deep Purple und Rage Against The Machine. Und erst nach einer Weile merkte ich: Es gibt keine Regeln, die das verbieten. Also habe ich es ausprobiert. Wichtig ist nur: Du musst aufrichtig sein! Wenn du Coverversionen spielst, musst du etwas Besonderes hinzufügen. Wenn du nichts von dir selbst mitbringst, kannst du es gleich lassen.

Und Sie haben es tatsächlich geschafft, Nine Inch Nails’ düsteren Industrial-Wave-Song „Copy Of A“ noch heftiger klingen zu lassen.
Der Song ist unglaublich! 2013 habe ich Nine Inch Nails live auf Tour gesehen, das hat mich völlig umgehauen. Aber unsere Version ist noch wilder, vor allem, was das Schlagzeug angeht. Wir können das nicht sehr lange spielen, denn es ist eine große physische Herausforderung, quasi ein Drumsolo von Anfang bis Ende. Es galt immer: Spiel, als ob du gleich sterben würdest! Der Song ist ein Kontrast – es gibt auf dem Album keinen zweiten dieser Art.

Ihr Trio mit dem Italiener Federico Casagrande an der Gitarre und dem Israeli Ziv Ravitz am Schlagzeug hatte schon 40 Konzerte gespielt, ehe Sie das Album aufnahmen. War das also eine lockere Fingerübung für Sie?
Wir hatten ein festes Repertoire, aber bevor wir ins Studio gingen, sagte ich: Wir machen etwas völlig Neues. Die beiden hielten mich für komplett verrückt. Aber vielleicht war mir das Repertoire zu jazzig gewesen. Ich will immer Neues ausprobieren. Der Satz, den ich gegenüber Fede und Ziv am häufigsten geäußert habe, war: Vertraut mir!

Wie kommt es eigentlich, dass Sie immer barfuß spielen?
Es geht ums Feeling. Ich habe schon versucht, mit Schuhen zu spielen, aber so fühle ich mich nicht wohl. Am liebsten würde ich immer und überall barfuß herumlaufen! Ich bin wie ein Orang-Utan.

Vincent Peirani
Jokers

ACT, 25. März

Das einstige Akkordeon-„Wunderkind“ Peirani ist schon lange erwachsen. Nach Alben im Quintett und im Duo hat der französische Virtuose nun ein neues Trio – und klingt so kraftvoll wie nie. Vom Jazz kommt die Spiel- und Improvisationsfreude, vom Rock das rauschhaft Hymnische, vom Blues kommen die Grooves und aus der Elektronischen Musik die vertrackten Beats. Peiranis Akkordeon ist dabei immer präsent, aber zuweilen so verzerrt, dass es kaum zu erkennen ist. Ein heftiger, intensiver Trip.


Foto: Stanislas Augris

Jan Paersch