Musik

14.12. | Album der Woche

Bruce Springsteen • Springsteen On Broadway

Springsteen on BroadwayBRUCE SPRINGSTEEN

Springsteen On Broadway

Columbia • 14. Dezember

Im Nachgang seiner Autobiografie „Born To Run“ bestreitet Bruce Springsteen eine ausufernde Konzertserie, die seine Musik mit ausgewählten Anekdoten kombiniert. Das Resultat ist kein Musical, sondern ein multimedialer Plausch mit einem Publikum, das den Sänger als aufrichtigen Kumpeltyp schätzt. „On Broadway“ zeigt einen Künstler zum Anfassen und strickt zugleich an einem überlebensgroßen Mythos.

Eine Erhebung Mitte der Achtzigerjahre soll ergeben haben, dass bis zu diesem Zeitpunkt kaum ein Springsteen-Song existiert hat, der ohne die Worte street, night, car oder girl ausgekommen wäre. Die vier Vokabeln fassen tatsächlich viel von dem zusammen, was Bruce Springsteen ausmacht: das Gefühl, Zelte abzubrechen und anderswo wieder aufzuschlagen, immer auf der Suche nach dem „runaway American Dream“. Seine ständige Romantisierung fahrbarer Untersätze brachte dem Musiker irgendwann die Kritik ein, er würde lediglich über Autos singen, worauf Springsteen erwiderte, ihn interessierten nicht die Autos, sondern die Menschen darin. Und egal, ob seinen Songhelden und ihren Marys, Sherrys, Candys und Rosalitas die Flucht gelang – letztendlich waren seine Songs immer die Art von Geschichten, die seine Zuhörer als authentisch einstuften. Das lag auch daran, dass der „Boss“ nicht mit Biografischem hinterm Berg hielt. Einer der größten Gänsehautmomente auf dem Monumentalalbum „Live 1975–85“ sind die fünf Minuten, die „The River“ vorangehen und in denen Springsteen von der komplizierten Beziehung zu seinem Vater erzählt. Auch 2016 konnte man Anekdoten wie diese lesen. In seiner Autobiografie „Born To Run“ berichtet der Sänger auf üppigen 670 Seiten aus seinem Leben. Es sind zumeist kurze Kapitel, die sich mit seiner Familie, dem irisch-italienischen Milieu von New Jersey, seiner Begeisterung für Musik und dem amerikanischen Jahrhundert befassen, notiert in der bodenständigen Sprache seiner Songs. Springsteen erzählt vom Leben und der Liebe, von den Depressionen, die ihn gelegentlich plagen, und vom Arbeitsethos, den er schon früh verinnerlicht hat. Draußen, auf der Bühne, vor Tausenden von Menschen, sagt er, da fühle er sich am sichersten, und vielleicht ist das ein Grund dafür, warum ein Konzert mit der E-Street-Band durchschnittlich drei bis vier Stunden dauert. Auch „Springsteen On Broadway“ ist ein Experiment in Überlänge. Das Album funktioniert als „Soundtrack“ zu einer demnächst auch verfilmten Konzertserie, die den Sänger die letzten Jahre in Atem gehalten hat. „Ich habe mich für den Broadway entschieden, weil es dort diese schönen alten Theater gibt – genau die richtige Bühne für das, was mir vorschwebt“, erklärt er. „Tatsächlich ist das Walter Kerr Theater mit seinen 960 Plätzen vermutlich der kleinste Saal, in dem ich in den letzten 40 Jahren aufgetreten bin.“ Die vermeintlich intimen New Yorker Gastspiele sollten ursprünglich nur acht Wochen lang auf dem Programm stehen, am Ende werden es 236 Shows in 14 Monaten sein (sofern am 15. Dezember wirklich Schluss ist). Die Shows sind dabei weit von den Broadway-Musicals aus der Nachbarschaft entfernt: Springsteen bringt, zusammen mit seiner Frau Patti Scialfa und nur auf Gitarre und Piano vorgetragen, 16 seiner wichtigsten und persönlichsten Songs zur Aufführung, dazwischen erzählt er Geschichten aus seinem Leben. Nicht alle davon sind aus „Born To Run“ bekannt, auch wenn sich die Storys in der Art eines lebendigen Hörbuchs an seiner Autobiografie entlang bewegen. Springsteen als Geschichtenzähler ist durchaus eine Neuentdeckung. Das Pathos, das vielen seiner Songs innewohnt, wird hier mit verschmitzter Selbstironie abgefedert, der Tonfall seiner Anekdoten bleibt angenehm ehrlich und trotz teilweise privater Inhalte respektvoll und rührend. Gleichzeitig zeigt schon die Songauswahl, dass der Mensch Bruce Springsteen mit seiner Rolle als gutes Gewissen der USA verschmolzen ist. Nach einer Reihe persönlicher Stücke kommen solche, die man im gegenwärtigen politischen Klima nur als Protest lesen kann. Speziell „The Ghost Of Tom Joad“ bleibt eine seiner radikalsten Kompositionen und klingt im Zeitalter von „Make America great again“ geradezu aufsässig. Das sich anschließende „Land Of Hope And Dreams“ macht klar, dass er seine Heimat noch nicht abgeschrieben hat und selbst das unverdächtige „Dancing In The Dark“ wird in einen neuen Kontext eingebettet. Wie hatte Springsteen gesagt? „Gerade in harten Zeiten muss man seine Tanzschuhe anziehen.“ Lars Backhaus

FAZIT: Gemütlich, warmherzig und großzügig wie immer. Bruce Springsteen präsentiert 16 seiner bekanntesten Songs in abgespeckter Form und intimen Ambiente. Der Rock’n’- Roll-Storyteller ergänzt seine Darbietung mit persönlichen Geschichten aus seiner 2016 erschienen Autobiografie. Ein musikalisches, persönliches Selbstporträt mit der Zutraulichkeit eines vorweihnachtlichen Wohnzimmerkonzerts.