Musik
14.06. | Album der Woche
Vince Freeman • Scars, Ghosts & Glory
KineticFoto: Chris Boulton
Zurückgespult
Mit sehr langem Anlauf veröffentlicht der englische Pop-Singer-Songwriter Vince Freeman im biblischen Alter sein Debütalbum »Scars, Ghosts & Glory«.
Vince Freeman, leben Sie noch in London?
Nein, ich wohne mit meiner Familie wieder in Cheltenham, dem Ort, an dem ich großwurde. Ich liebe dieses Städtchen. Wir haben drei Kinder, für die ist es hier einfach entspannter. Cheltenham ist exakt so, wie man sich das typische England vorstellt, außerdem liegt es im Herzen der Cotswolds, einer wirklich wunderschönen Landschaft. Das Lebenstempo hier ist gemächlicher, nicht so stressig wie in London.
Wobei sich Ihr eigenes Lebenstempo gerade rasant beschleunigt.
Ich wache jeden Morgen auf und bin überglücklich und dankbar. 25 Jahre lang habe ich versucht, einen Fuß in die Tür zu bekommen, habe bis zu 300 Shows im Jahr gespielt, trat 2009 in der ersten Staffel von »The Voice« auf, doch ich kam einfach nicht vom Fleck. Als ich fast schon aufgegeben hatte und während Corona mit einem mobilen Kaffeestand unterwegs war, geschah das Wunder.
Einer Ihrer Kunden war ein Musikanwalt, mit dem Sie ins Gespräch gekommen sind und der Ihnen half, endlich den ersehnten Plattenvertrag zu ergattern.
So ist es. Ich bin jetzt 46 Jahre alt, und es fühlt sich an, als würde mein Leben gerade um 15 Jahre zurückgespult. Auch, weil ich sechs Jahre meines Lebens nur am Stock gehen konnte.
Sie litten unter schweren chronischen Rückenschmerzen, hatten eine gescheiterte Operation und zahllose Behandlungsversuche hinter Ihnen. Heute sind Sie schmerzfrei. Wie ist das gelungen?
Ich traf auf dem Spielplatz einen Osteopathen – und Tierarzt. Drei Wochen vor einer weiteren geplanten Operation fing er an, mich zu behandeln. Und plötzlich brauchte ich keine Schmerzmittel mehr. Ich verbringe weiterhin eine Stunde pro Woche mit ihm, in der er hauptsächlich meine Arschbacken festhält. (lacht)
Sie haben in den Nullerjahren in einem Londoner Club eine Singer-Songwriter Reihe mitorganisiert und dabei unter anderem Ed Sheeran und Paolo Nutini kennengelernt, die bald zu großen Stars wurden. Waren Sie neidisch?
Neidisch nicht, aber natürlich hätte ich gern einen Fitzel ihres Erfolgs gehabt. Meine eigenen fünfzehn Minuten Ruhm hatte ich mal in Las Vegas, bei einem Konzert für einen Limonadenkonzern. Sie fuhren meine damalige Verlobte und heutige Frau und mich in der Limousine durch die Stadt und überschütteten uns mit Dekadenz. Zwei Tage später spielte ich wieder in einer kleinen Bar vor fünf Leuten.
Vince Freeman
Scars, Ghosts & Glory
Kinetic Records • 14. Juni
Dieser Mann weiß, wie man einen wirkungsvollen Popsong schreibt. Und so schöpft Vince Freeman aus dem Erfahrungsschatz seines wendungsreichen Lebens, singt über Kindheitserinnerungen (»Oh What A Life«), das Gefühl, allen nur etwas vorzumachen (»Imposter«) oder die große Liebe (»Dancing In The Rain«). Stilistisch mischt er seinen griffigen Liedern viel Soul, Gospel und Balladendramatik bei. Für Fans von: Rag ’n’ Bone Man, James Arthur oder Lewis Capaldi.
Steffen Rüth