Literatur

14.04. | Buch der Woche

Christian Kracht • Faserland

Kiepenheuer & Witsch

Das bin doch ich!

Christian Kracht schickt in seinem „Faserland“-Folge-Roman „Eurotrash“ einen Schriftsteller namens Christian Kracht auf Reisen in die Familien-Vergangenheit.

„Manchmal, oft hatte ich mir gesagt, wirklich, daß es kein Anzeichen von seelischer Gesundheit war, sich an eine zutiefst gestörte Familie anpassen zu können“, sinniert der Mann auf dem Hotelbett in Zürich. „Und wie es mir nur gelungen war, überhaupt jemals gelingen konnte, mich aus der Misere und der Geisteskrankheit meiner Familie herauszuziehen, aus diesen Abgründen, die tiefer und abgründiger und elendiger nicht sein konnten, und ein halbwegs normaler Mensch zu werden, das vermochte ich nicht zu enträtseln.“

Christian Kracht heißt dieser grübelnde Davongekommene. Er ist der Ich-Erzähler des Romans „Eurotrash“ – wie viel er mit dem Autor gleichen Namens gemeinsam hat, darüber darf nun mindestens so fleißig gerätselt werden wie über die Wirkung familiärer Beschädigungen. Schriftsteller lieben ja das Spiel mit der Autofiktion. Joachim Meyerhoff hat darauf seine „Alle Toten fliegen hoch“-Reihe gebaut, Thomas Glavinic nach gleichem Prinzip das großartige Selbst- und Fremdporträt „Das bin doch ich!“ komponiert. Kracht beherrscht die Führung durch das literarische Spiegelkabinett definitiv nicht weniger meisterlich.

Der Erzähler-Kracht hat vor 25 Jahren ein Buch mit dem Titel „Faserland“ geschrieben, da beginnen die nachprüfbaren biografischen Parallelen. Sein Großvater war ein Untersturmführer der SS und in der Reichspropagandaleitung der NSDAP tätig, der Vater hat es als Konzern-Manager im Cognac-Dunst der alten BRD zu viel Geld gebracht, die Mutter schließlich – im Roman eine pillenschluckende, daueralkoholisierte Exzentrikerin – ist im Alter von 11 Jahren, nach dem Krieg, Opfer von wiederholtem Missbrauch geworden. Dieses Trauma hat sie mit dem wirklichen Christian Kracht gemein, der 2018 – anlässlich seiner Poetikvorlesungen in Frankfurt am Main – erstmals öffentlich darüber gesprochen hat, wie er in früheren Internatsjahren von einem kanadischen Priester missbraucht wurde.

Wo „Faserland“ in den 90ern eine Reise von Sylt zum Bodensee auf dem Ticket wohlstandsverwahrloster Barbourjacken-Sinnleere beschrieb, da ist „Eurotrash“ nicht einfach eine Fortsetzung. Im Gegenteil. Das Eigentliche, das im Debüt von Drinks und Dresscodes, von Ironiepanzer und Dünkel umstellt war, wird hier nun konfrontiert: eine Familiengeschichte, die zu viele Fragen offen gelassen hat, um mit sich selbst im Einklang sein zu können. Kracht begibt sich im Buch auf eine letzte Reise mit seiner Mutter sowie ihren Schlafmitteln und Wodkafläschchen, die reich ist an kleineren und größeren Absurditäten. Sie endet auf einem Berggipfel, wo der Wind das Bargeld, das die beiden in Mengen dabei hatten, launig in alle Himmelsrichtungen verstreut.

Natürlich hat diese Reise niemals stattgefunden. Der Autor lädt zur Verwechslung von Leben und Literatur ein, um den Lesern dann lässig vor Augen zu führen, wie vergebens es ist, diese Verflechtung entwirren zu wollen. Im einzigen Interview, das Christian Kracht zum Erscheinen von „Eurotrash“ gegeben hat, entgegnet er auf die Frage, was er sehe, wenn er in den Spiegel blicke: „Ist das nicht offensichtlich?“

Christian Kracht
Eurotrash

Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten

Patrick Wildermann