Musik

13.12. | Album der Woche

Spliff • Reissues

Sony Music · 22. November

13.12. | Album der Woche - Spliff • Reissues

Foto: Spliff / Sony Music


Pasta für die Ewigkeit

Mit Lokomotive Kreuzberg prägten sie den Politrock der 70er, an der Seite von Nina Hagen hiesigen Punk. Den endgültigen Durchbruch erleben Spliff Anfang der 80er im Sog der Neuen Deutschen Welle – mit einem Reggae-Song über Nudeln. Jetzt werden ihre Alben wiederveröffentlicht, eigentlich der perfekte Zeitpunkt für eine Reunion. Herwig Mitteregger und Reinhold Heil verraten, warum das - zumindest theoretisch – gar nicht nötig wäre.

Hinter den größten Hits stecken oft profane Geschichten, wobei der Song, oder besser der Text, bereits von einer gewissen Alltäglichkeit geprägt ist. Carbonara, die Spaghetti-Variante mit Ei, Speck und Käse, ein Flirt auf italienisch, dazu Amaretto und Coca-Cola, fertig ist der Evergreen. Reinhold Heil, Spliff-Keyboarder, Texter und Komponist des Songs, muss heute, über 40 Jahre später, immer noch darüber lachen. „Das war ja überhaupt nicht geplant. Das war mehr so eine Art Textlayout, dabei ist es dann irgendwie geblieben.“ Im März 1982 erscheint die Single »Carbonara«, schafft es bis auf Platz 5 der deutschen Singlecharts und wird auch in Österreich und der Schweiz ein Hit. Die Neue Deutsche Welle flutet sämtliche Hitparaden. So richtig wohl fühlen sich die Berliner Musiker damit nicht. „Die NDW hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits stark verändert“, so Heil. „Das war eben nicht mehr Abwärts und Fehlfarben, stattdessen Künstler wie Markus, die in der ZDF-Hitparade auftraten. Ohne jemanden zu nahe treten zu wollen, aber wir wollten ein bisschen cooler sein.“ Herwig Mitteregger, Schlagzeuger, Sänger und ebenfalls Songwriter, war bereits Anfang der 70er mit Lokomotive Kreuzberg aktiv, auch Bassist Manfred Praeker (gest. 2012) und Gitarrist Bernhard Potschka gehörten zur Politrock-Band aus West-Berlin. Später stieß Reinhold Heil dazu, mit Nina Hagen am Gesang veröffentlichte das Quartett zwei Alben, »Nina Hagen Band« (1978) gilt heute als Meilenstein des feministisch geprägten Punkrocks. Nach »Unbehagen« (1980) trennten sich die Wege, Nina ging solo, die Jungs zunächst ratlos. „Ich erinnere mich gut daran, wie wir anschließend herumsaßen. Machen wir jetzt als normale Rockband weiter?“, erzählt Herwig Mitteregger. „Dann kam Jim Rakete und hatte die Idee von der ‚Spliff Radio Show‘. Mit Lok Kreuzberg war es vorher eine Form des Musiktheaters, dieses erste Album war so ein Konzeptding, den Lok-Sachen nicht unähnlich.“ Reinhold Heil bringt The Who ins Spiel. „Man hätte so etwas wie »Quadrophenia« draus machen können, eine Art Rock-Oper.“

Mit dem nächsten Album »85555« (1982) wechseln Spliff die Tonlage und den Duktus. Es wird jetzt auf Deutsch gesungen. Die NDW mag kontrovers betrachtet werden, aber Muttersprachliches war plötzlich auch jenseits des Schlagers populär. „Wir mussten das ja erstmal lernen. Gute Texte zu schreiben, das ist echt Arbeit“, gesteht Reinhold Heil, heute ein erfolgreicher Filmmusik-Komponist, u.a. für »Lola rennt«. „Ich saß zu Hause mit meinem kleinen Drumcomputer, einem Synthesizer und hab’ drauflos geschrieben. Irgendwann ist dann so etwas wie »Carbonara« dabei herausgekommen. Herwig war schon weiter, er hatte dieses Poetische, eine bestimmte Metaphorik. Dafür war ich sehr dankbar, weil das eben eine ganze Ecke cooler war.“ Bis Mitte der 80er ist die Band hochproduktiv, die stilistische Bandbreite von Prog über Pop und Funk bis Reggae und Experimental klingt auch aus heutiger Sicht in höchstem Maße erstaunlich. Herwig Mitteregger weiß, worauf diese Vielfalt beruht. „Wir haben es über einen längeren Zeitraum geschafft, uns mit wirklich jeder Idee, wer auch immer sie einbrachte, wie abgedreht sie auch sein mochte, zu befassen und sie bestenfalls umzusetzen.“ So entstanden also diese zuweilen heute noch so mysteriös-reizvollen Songs, über die Jahrzehnte regelmäßig wiederentdeckt und von Größen wie den Fantastischen Vier gecovert. Gab es da nie den Gedanken an eine Reunion angesichts der Respektsbekundungen? Mitteregger winkt ab. „Klar, das ist eine schöne Sache, aber man muss auch zugeben, dass diese Songs nie so super erfolgreich waren, wie das von heute aus vielleicht aussieht. Außerdem sind es einfach andere Zeiten.“ Reinhold Heil schmunzelt. „Wenn man mal ganz ehrlich ist, haben wir uns ja sowieso nie richtig aufgelöst. Das hat sich angesichts der letzten Tour, die nicht so erfolgreich war, und unterschiedlicher Lebenspläne so ergeben, aber offiziell getrennt haben wir uns nicht.“. So bleibt zumindest ein letzter Funken Hoffnung, auch Heils Song von den Nudeln nochmal live zu hören: „Bis heute fragen mich Leute, wie ich zu dem Stück stehe. Ich antworte dann immer: Ich stehe nicht dazu, ich wohne darin.“


Spliff
Reissues

Sony • 22. November

Das Schlagwort vom „gut gealtert“ trifft auf die Musik der Berliner zu wie bei kaum einer anderen deutschen Band, die im Kontext der NDW zu Ruhm und Ehre gekommen ist. Das Konzeptalbum über die wechselhafte Karriere des Superstars Rocko di Fonzo, verpackt in eine Radioshow, klingt auch heute noch überaus feurig. Kein Wunder, alle Songs wurden live eingespielt. Mit »85555« vollzieht sich ein Richtungswechsel hin zu deutschen Texten, die Musik selbst bleibt – ebenso wie auf den nachfolgenden Alben – wagemutig, experimentell, dabei so dermaßen ins Ohr gehend und eingängig. »Carbonara«, der NDW-Hit wider Willen, das atmosphärische »Déja Vu«, »Rudi« mit seinem geheimnisvollen Monolog, »Das Blech«, das wegfliegt, ein gekapertes »Shuttle«, nur einige Karriere-Höhepunkte von Spliff, die sich auf dieser umfassenden Vinyl-Reissue, zudem endlich auch auf allen gängigen Streamingportalen, nacherleben lassen.

Ingo Scheel