Musik

13.05. | Album der Woche

Joep Beving • Hermetism

Deutsche Grammophon

13.05. | Album der Woche - Joep Beving • Hermetism

„Wie stark und tapfer bin ich eigentlich?“

Joep Beving ist kein Mann der simplen Worte. So ruhig und bedacht wie seine neoklassische Klaviermusik zeigt sich auch der niederländische Musiker selbst, während er über seine Weltanschauung redet, deren Grundpfeiler derzeit mehr und mehr ins Wanken geraten. Was ihm bei der Stabilisierung hilft? Die Musik.

Joep Beving, glauben Sie an stille Revolte?
Ja, das tue ich.

Haben Sie selbst schon eine erlebt?
(lacht) Ich fürchte, das muss ich leider verneinen. Trotzdem denke ich, dass diese Art von Protest einen Effekt haben kann und sollte, wenn es genug Leute gibt, die ähnliche Ansichten vertreten. Wenn mehr Menschen vom Standpunkt der Liebe aus und weniger ängstlich denken und agieren würden, hätte das viele positive Auswirkungen und würde unsere Welt zu einem besseren Ort machen. Daran glaube ich.

Schon immer oder mussten Sie das lernen?
Wenn ich ehrlich bin, muss ich das immer noch lernen. Lange Zeit haben Angst, Zweifel und Unsicherheit eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Dieses Konstrukt konnte ich erst hinter mir lassen, als ich gewagt habe, an etwas Größeres zu glauben, und diese Erfahrung mir zeigte, dass die Dinge nicht unbedingt so sein müssen, wie mir vorher suggeriert wurde.

Erinnern Sie sich konkret an diese Erfahrung?
Ja, an einen ganz spezifischen Moment. Ich litt an einem Burn-out, dem eine lange Zeitphase voranging, in der ich mich mehr und mehr von der Realität entfremdet hatte, weil ich nicht mehr verstand, was mit mir los war und nicht glauben konnte, dass andere Menschen das Gleiche durchmachen. Ich zweifelte sehr an mir und begann, mich auch aus meinem sozialen Leben zurückzuziehen. Nachdem ich einige Tage wegen meines Burn-outs zu Hause geblieben war, zog es mich zum Klavier und ich spielte wie aus dem Nichts ein neues Stück. Das spendete mir Trost, ich konnte mich daran festhalten und hochziehen. Nachdem ich dann den Entschluss gefasst hatte, ein Album zu schreiben, kam nach den ersten Songs plötzlich diese Eingebung, dass es hier gerade gar nicht um mich, sondern um etwas viel Größeres geht, und ich einfach der Musik folgen und mein Ego dem nicht im Weg stehen sollte. Angst oder Zweifel spielten keine Rolle mehr und ich konnte mit einem Gefühl des Vertrauens agieren.

Was änderte sich dadurch für Sie?
Es wurde Teil meines Glaubenssystems, dass wir, wenn wir es schaffen, das Hässliche an der Oberfläche zu durchschauen, immer feststellen werden, dass die Liebe die Hauptquelle der Energie ist. Deswegen sollten wir uns auf sie konzentrieren. Dennoch führe ich täglich innere Kämpfe zwischen dem Zustand der Angst und dem der Liebe. Besonders in diesen Tagen.

Verlieren oder gewinnen Sie?
Gerade fällt es mir tatsächlich sehr schwer, diese Kämpfe zu gewinnen. Gefühlt sind wir mittlerweile alle stumpf geworden, angesichts der vielen schlechten Nachrichten, die uns Tag für Tag erreichen. Mich selbst trotzdem davon zu überzeugen, dass es diesen Ort des tieferen Verständnisses oder Bewusstseins gibt, während die Realität draußen doch gerade ganz anders aussieht, ist eine unglaubliche Herausforderung.

Beschäftigt Sie diese Diskrepanz sehr in Ihrem Alltag?
Ja, schon. Ich habe mittlerweile Kinder. Ich kann mich selbst aber teilweise gar nicht mehr beruhigen oder meine Gefühle in Worte fassen. Ich stelle mir die Frage, wie ich sicherstellen kann, dass meine Kinder von diesen ganzen Krisen nicht negativ beeinflusst werden. Darüber mache ich mir große Sorgen. Ich komponiere meine Musik aus diesem friedlichen Ort heraus und sehe mich trotzdem stetig mit diesen Gefahren konfrontiert. Daher fühle ich mich, als müsste ich mich plötzlich stärker auf meine maskuline Seite besinnen und frage mich gleichzeitig: Wie stark und wie tapfer bin ich eigentlich?

Ist Musik für Sie eine Bewältigungsstrategie?
Definitiv. Musik kann meine Laune tatsächlich komplett verändern. Wenn ich sehr gestresst bin oder das Gefühl habe, dass sich mir die Kehle zuschnürt, beruhigt mich Musik, und ich fühle mich mehr im Gleichgewicht. Einerseits ist das natürlich eine Art von Flucht, aber andererseits glaube ich auch daran, dass Musik auch aus diesem Grund da ist – weil sie einen mentalen und in der Folge auch physischen Effekt auf Menschen hat.

Joep Beving
Hermetism

Deutsche Grammophon, 8. April

Der Hermetismus ist eine spirituelle Lehre, die sich auf antike Schriften beruft, in deren Mittelpunkt sieben Naturgesetze stehen. Und obwohl Joep Beving mit „Hermetism“ keinesfalls ein Konzeptalbum schaffen, sondern lediglich Interessierten etwas Gedankenfutter und im Idealfall einen Angelpunkt in dieser schnelllebigen Welt geben wollte, kann man Prinzipien wie die des Rhythmus oder der Schwingung in seiner Musik wiederfinden. Und sicherlich auch nicht zuletzt jenes der Polarität, denn diese melancholischen, emotionalen und friedvollen Stücke lassen sich schwer in Einklang mit dem bringen, was in der Welt gerade passiert. Aber vielleicht ist „Hermetism“ auch genau dazu da – um einen Moment der Stille zu finden, aus dem man Kraft schöpfen kann, um das Auge für das Schöne nicht gänzlich zu verlieren.


Foto: Rahi Rezvani

Katharina Raskob