Kino

13.01. | Neustarts der Woche

Foto: Pablo Larrain


Weihnacht ohne Zukunft

Mit Kristen Stewart als Diana auf dem Höhepunkt von Ruhm und Essstörung lädt Pablo Larraíns „Spencer“ sein Publikum zur Weihnachtstafel in Sandringham House.

„Es sind nur drei Tage!“ Diana beschwichtigt sich selbst, als sie 1991 mutterseelenallein im Porsche zur royalen Weihnachtsfeier in Sandringham House rast. Drei Tage mit dieser Familie, die zum Spießrutenlauf werden, zum Eiertanz um Konventionen und Traditionen. Diana weiß es, und wir, das Publikum von Pablo Larraíns „Spencer“, ahnen es – zumindest diejenigen, die die bisherigen vier Staffeln von „The Crown“ inhaliert haben. Und dann kommt alles ganz anders. Zwar ist die Queen gewohnt eiskalt schnippisch, Charles arrogant genervt und die Paparazzi vor den Toren omnipräsent. Zusammen kommen sie aber auf eine Leinwandpräsenz von nur rund einem Viertel der 111 Minuten Laufzeit. Denn anders als in „The Crown“ geht es hier nicht um die Symptome von Ruhm und Royalitäten, oder die Hackordnung innerhalb der Monarchie. „Spencer“ ist vielmehr deren Diagnose und Diana der Körper, an dem sie sich manifestiert. Ein Paradebeispiel dafür ist die Waage, auf der sich zu Beginn des Weihnachtsfests jeder wiegen lassen muss. Wer nach drei Tagen nicht mindestens drei Pfund schwerer ist, hatte bei der Festivität wohl keine Freude, glaubte einst Prinz Edward, ältester Sohn von Königin Victoria und ihr Nachfolger auf dem Thron. Für Diana, die bekennende Bulimikerin, ist die Waage eine Falle, und man wartet mit Sorge und Spannung darauf, wie sie sie umgehen wird. Statt Bio-Pic ist „Spencer“ eine „Fabel aus einer wahren Tragödie“. Dasselbe könnte auch im Vorspann von Larraíns meisterlichem Drama „Jackie“ gestanden haben. Was Jackie Kennedy, eine Woche nach dem Attentat auf ihren Mann, mit der zehn Jahre verheirateten Diana verbindet, ist das Gefühl des Alleingelassenseins, während die ganze Welt zuschaut. Völlig unterschiedlich sind dagegen ihre Reaktionen: Jackie bereitet ihrem Jack ein Begräbnis von königlichem Ausmaß, und die Prinzessin in der wallenden Abendrobe kotzt sich auf dem Klo die Seele aus dem Leib. Bei aller Fragilität von Dianas emotionalem Zustand und den Gliedmaßen ihrer Darstellerin Kristen Stewart ist „Spencer“ kein Schwanengesang auf eine öffentliche Frau. Stewarts exzellent erratische, manchmal sogar bedrohliche Prinzessin der Herzen zielt nach Höherem. Etwa, wenn sie ihren Söhnen im Kinderzimmer von Sandringham House zuflüstert: „Ihr wisst, dass es drei Zeiten gibt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier gibt es nur eine Zeit: Vergangenheit und Gegenwart sind eins, und die Zukunft existiert nicht.“

Edda Bauer

Spencer
DCM, 13. Januar

Zeigte „The Crown“ die Symptome innerhalb der Royal Family, ist „Spencer“ deren Diagnose. Regisseur Pablo Larraín („Jackie“) und Autor Steven Knight („Eastern Promises“, Peaky Blinders“) lassen Diana zu Weihnachten 1991 durch die Gänge und Zimmer von Sandringham House geistern. Schmerzhaft schön ist es, Kristen Stewart dabei zuzusehen, wie sie als emotional fragile Prinzessin der Herzen königliche Konventionen und Traditionen umschifft und die kleinen und großen Traumata mit dem Kopf über der Kloschüssel verarbeitet.


Pleasure
Weltkino, 13. Januar 2022

Eine 19-jährige Schwedin will in den USA zum nächsten großen Porno-Star aufsteigen. Das ist der zunächst simple Plot von „Pleasure“, dem Spielfilmdebüt der Regisseurin Ninja Thyberg. Hauptdarstellerin Sofia Kappel überzeugt in ihrer ersten Filmrolle mit eindrücklichem und nuanciertem Spiel. Ihre Figur arbeitet sich von ersten Amateur-Szenen zu den wirklich harten Drehs vor, erlebt dabei jegliche Klischees der Porno-Industrie. Sie reichen von Abenteuern, die Instagram-Content liefern, bis hin zur absoluten Erniedrigung. Nur wer sich durchkämpft, kommt weiter. Nur wer alles mit sich machen lässt, wird sichtbar, hat Erfolg. Schmerzhafte Szenen sind das, die für den Moment vergessen lassen könnten, dass dieser Film etwas erzählen will, das über die reine Reproduktion gewaltvoller Bilder hinausgeht. „Pleasure” wurde unter anderem auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt und begeisterte dort aufgrund seiner weiblichen Perspektive auf eine männlich dominierte Branche und deren perfide Mechanismen.

Sophie Glaser