Musik

12.10. | Album der Woche

Sven Helbig • Tres Momentos

Sven Helbig • Tres Momentos

Neue Meister • 10. August 18

Klangkomponist und Gestaltenwandler Sven Helbig wagt eine Momentaufnahme. Ein kurzes Gespräch über das reizvolle Wechselspiel von Form und Funktion.

Herr Helbig, wie stehen Sie zur Design-Maxime „Form folgt Funktion“?

Ich mag dieses Gesetz, weil es aus der Beobachtung des unbewussten, organischen Lebens entnommen ist. Die Schönheit natürlicher Phänomene ist nie Überdruss oder Verschwendung. Auf die Wirren des menschlichen Schaffens bezogen, finde ich die Gefahr der Fehlinterpretation zu groß. Das Bauhaus hat etwas anderes gemeint als Friedrich der Große mit Schloss Sanssouci. Bewusstsein ist eine faszinierende Spielart des organischen Lebens, aber es hat uns zu so vielen gegensätzlichen Resultaten geführt und schließlich von der Natur entfremdet, sodass man vor dem Berg an Erkenntnissen recht hilflos herumsteht.

Ihre Veröffentlichungen wagen konzeptionell stets Neues. Inspirieren Form und Medium Ihre kreative Arbeit oder bildet sich diese schlicht in der Form aus, die individuell nötig ist?

Es ist ein faszinierendes Werkzeug, dieser Zoom. Wenn Sie sehr nah an die Ereignisse herantreten, erkennen Sie den Schlüssel zum Verständnis größerer Zusammenhänge. Dagegen gewährt uns ein größerer Abstand Aufschluss über die oft schwer deutbaren Miniaturvorgänge unseres Alltags. Diese beiden Perspektiven gehören zusammen. So könnte ich nicht behaupten, dass mich Bill Callahans „Jim Cain“ weniger bewegt als Malers „9. Sinfonie“. Im Film schneidet man beispielsweise nie eine Totale auf eine Totale. Das würde die Sequenz verflachen und zerstören. So wechsele ich die Perspektiven, um mich künstlerisch am Leben zu erhalten.

Ihre EP kennt zwischen den drei Momenten ein Zwischenspiel. Welche Bedeutung hat für Sie das Innehalten, das kurze Beiseitetreten in der Musik? Dieses Interludium könnte ein schöner Moment der Kontemplation sein. Ich halte den, nicht nur in der Kunst, für wesentlich. Die Frage ist, was macht man aus den zarten Entdeckungen des ersten Momentes, dem unbestimmten Interesse. Wird man gierig, bricht zu viele Tabus? Daraus ergibt sich für das „Interludio“ entweder ein stilles Glück oder eine Katastrophe. In jedem Fall ist es der Moment, wo das eigene Tun keine Relevanz mehr hat, weil die Dinge selbstzündend außer Kontrolle geraten. Im Idealfall könnte das ein selbsttragendes Schweben sein, das nach anfänglicher Kraftanstrengung erreicht wird. Ein Segelflug beispielsweise oder jegliche schöne, erarbeitete Ruhe, die wir in allen Lebensbereichen finden und die durch Mühe erreicht wurde. Interview: Friedrich Reip

FAZIT: Helbig hat mit dem choralen Konzeptwerk „I Eat The Sun And Drink The Rain“ den Fokus weit aufgezogen. Nun zoomt er an den Augenblick heran: Seine „Tres Momentos“, live eingespielt mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin, bringen es auf lediglich zwanzig Minuten. Umso dringlicher gerät die Intimität der Aufnahmen, in denen nervös zuckende Streicher und donnernde Elektronik ein gewittriges Spannungsfeld erzeugen.