Literatur

12.03. | Buch der Woche

Daniel Glattauer • In einem Zug

Dumont

12.03. | Buch der Woche - Daniel Glattauer • In einem Zug

Ist hier noch frei?

Daniel Glattauer protokolliert in seinem neuen Roman „In einem Zug“ eine Bahnfahrt mit einer neugierigen Mitreisenden. Beim Philosophieren über die Liebe überträgt sich vor allem Zauber des Zugfahrens.

Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben? Und Sie schreiben gerne über die Liebe? Ganz schön große Fragen, mit denen die fremde Frau „frühen mittleren Alters“ schräg gegenüber im Viererabteil im Zug ankommt, findet Eduard Brünhofer. Der Ich-Erzähler in Daniel Glattauers neuem Roman „In einem Zug“ antwortet dennoch, er ist ja schließlich höflich. Brünhofer, ein Autor „späten mittleren Alters“, gefeiert für seine Liebesromane, doch sein letzter ist viele Jahre und einige Schreibblockaden her. Um seinem Verlag endlich die überfällige Idee vorzustellen, sitzt er in der Westbahn von Wien nach München. Eigentlich müsste er sich noch für den Termin sammeln. Doch da ist diese Frau, die ihn nicht, wie er vermutet, erkannt hat, sondern für ihren ehemaligen Englischlehrer hält. Keines seiner Bücher hat sie gelesen, was deutlich an Brünhofers Eitelkeit kratzt. Sie stellt sich vor als Catrin Meyr, als Physiotherapeutin und Psychologin, und beginnt, ihn ungeniert auszufragen. Übers Schreiben, seine Liebe zum Alkohol und vor allem über die Liebe selbst.

Daniel Glattauer arbeitete 20 Jahre lang für die österreichische Tageszeitung „Der Standard“. Seinen Durchbruch als Schriftsteller hatte er 2006 mit seinem Bestseller „Gut gegen Nordwind“, in dem sich die Hauptfiguren wegen eines Tippfehlers in der Emailadresse kennenlernen und sich virtuell ineinander verlieben. Der Roman wurde fürs Theater und als Kinofilm (mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen) adaptiert. Glattauers letzter Bestseller „Die spürst du nicht“ erschien nach neun Jahren Pause, in seinem neuen Buch mischt er also Autobiografisches mit Fiktion.

Für Brünhofer geht es während der vierstündigen Fahrt um alles. Zwischen Sankt Pölten, Linz und Attnang-Puchheim arbeitet er in Gedanken an einem Pitch, einem Reiselexikon der Bahnhöfe zwischen Wien und München, die auch den Roman in Kapitel gliedern. Leider fällt ihm zu Linz und Rosenheim nichts wirklich Erhellendes und zu den meisten Stationen gar nichts ein. So richtig überzeugt ist er ohnehin nicht von der Idee. Und da ist Catrin, die gleich per du ist mit ihm und erstaunlich penetrant. Sie fragt ihn aus über seine – zu ihrem Zweifel – glückliche Langzeitehe, über Freiheit in einer Zweierbeziehung, Seitensprünge und Leidenschaft. Nicht einmal ein zugestiegener Fahrgast hält sie davon ab. „Irgendwann wird jede Beziehung zur Routine, und dann macht Sex nur noch halb so viel Spaß“, sagt die Single-Frau, die auf dem Weg zu ihrem Geliebten ist. Brünhofer antwortet, erst unverbindlich. Bei Bordeaux und Prosecco aus dem Speisewagen wird er redseliger und das Gespräch tiefgründiger. Brünhofer ist zunehmend fasziniert von der schlagfertigen Frau. Sechs verschiedene Arten ihres Lächelns definiert er innerhalb der kurzen gemeinsam verbrachten Zeit: von un- bis vollironisch, heiter-schmollend bis sehnsüchtig.

„In einem Zug“ ist eine Liebesgeschichte, die sich zum Glück anders entwickelt als erwartet. Mit pointierten Dialogen und einem launigen inneren Monolog zeichnet Glattauer das Kennenlernen seiner Hauptfiguren nach. Schnell entwickelt sich dabei ein Sog. Man kann „In einem Zug“ wirklich in einem Zug lesen, es sind schließlich nur rund 200 Seiten. Das Tempo lässt allerdings bald nach. Die Lektüre lohnt sich trotzdem, vor allem, weil sich, dem aktuellen Bahnfrust zum Trotz, der Zauber des Zugfahrens überträgt. Dafür verzeiht man sogar das abrupte Ende.


Daniel Glattauer
In einem Zug
Dumont, 208 Seiten, 23,00 €

Kathrin Hollmer