Musik
11.09. | Album der Woche
Laura Marling • Song For Our Daughter
PIASFoto: Justin Tyler Close
LAURA MARLING
Song For Our Daughter
PIAS/Chrysalis • 24. Juli
Weniger obskur
Mit »Song For Our Daughter« hat Laura Marling ihrem Vagabundenleben den Rücken gekehrt und ist sesshaft geworden.
Frau Marling, nach vielen Jahren auf Tour leben Sie mit Ihrem Partner nun in London. Hatten Sie keine Panik, dass dieses bodenständige Leben Sie Ihre Kreativität kostet?
Doch, und was für welche! Während ich »Songs For Our Daughter« schrieb, war ich in einem konstanten Angstzustand. Ich dachte anfangs, das Album sei wertlos, weil ich mich fühlte, als hätte ich keinen Zugang mehr zu meiner inneren Welt. Die unvorhergesehene Konsequenz war, dass ich Songs schrieb, die weniger obskur und so für viele Menschen vertrauter und deswegen auch bedeutungsvoller
sind.
Sie sind der Meinung, dass man Naivität braucht, um kreativ zu sein. Können Sie sich an einen Moment erinnern, in dem Sie Ihrer
Naivität beraubt wurden?
Ja. Leider glaube ich, dass das nicht nur mir passiert, sondern auch eine Erfahrung ist, die viele Frauen machen. Ich war deswegen viele Jahre in psychoanalytischer Behandlung und habe letztlich auch mein Studium der Psychoanalyse aus diesem Grund begonnen. Mich interessiert, warum viele Frauen in der Musikindustrie nicht die
Karriere verfolgen, die sie eigentlich anstreben. Die Erwartungen, die auf Frauen projiziert werden, sind sehr stark, besonders wenn man sich in einer Art Muse-Beziehung befindet. Wenn man die Muse von jemandem ist, wird man seiner eigenen Identität beraubt. Ich möchte nicht näher auf meine eigene Erfahrung eingehen, aber ich hatte das Gefühl, dass mir meine Identität ohne meine Genehmigung gestohlen wurde. Ich wusste zu dieser Zeit gar nicht, dass ich verletzlich bin, weil ich mich sicher fühlte. Ich habe danach lange Zeit nicht geschrieben, weil ich dachte, dass meine Texte als Erlaubnis missinterpretiert wurden. Eine weitere unvorhergesehene
Konsequenz meines sesshaften Lebens ist, dass ich mich nun sicher fühle und mir das Schreiben wieder leichter fällt.
Auf Ihrem neuen Album geht es auch um Einsichten, die Sie gerne schon zu Beginn Ihrer Karriere gehabt hätten. Zählt die Erkenntnis
aus dieser Erfahrung dazu?
Definitiv. Generell denke ich dabei aber vor allem an das Recht »Nein« zu sagen. Ich bin eine sehr pflichtbewusste und freundliche Person und habe immer nach diesem Prinzip gelebt. Aber ich arbeite in einer Branche, in der Güte nicht die Währung ist, die Wert hat. Deswegen habe ich die Bedeutung von Diplomatie erkannt. Diplomatie
wirkt nicht hip, aber ich hätte gerne früher gelernt, dass nicht alles Kampf sein muss, sondern vieles auch Verhandlung sein kann.
FAZIT:
Nein, Laura Marling ist nicht Mutter geworden. Auf »Song For Our Daughter« singt sie ihre Lieder für eine imaginäre Tochter und spricht über Erkenntnisse, die sie selbst gerne früher gehabt hätte. Diese Ratschläge und Geschichten verpackt Marling in gewohnt
grazile Singer/Songwriter-Klänge, die im Vergleich zu ihren
Vorgängern bodenständiger anmuten, ohne dabei an Emotion oder Kreativität einzubüßen.
Katharina Raskob