Musik

11.06. | Album der Woche

The Black Keys • Delta Kream

Nonesuch

Glanz und Schmiere

Auf ihrem neuen Album „Delta Kream“ huldigen The Black Keys dem Hill Country Blues und seinen bekanntesten Interpreten Junior Kimbrough und R. L. Burnside. Der traditionsreiche Stil spiegelt nicht nur eine Facette der amerikanischen Musikgeschichte, sondern berührt auch die persönlichen Biografien der beiden Epigonen.

„Dan und ich hatten den Vorteil, dass wir beide eine ziemlich einzigartige Kinderstube genossen haben“, sagt Patrick Carney. „Unsere Väter waren beide sehr musikbegeisterte Männer, und mein Onkel Ralph spielte sogar in der Band von Tom Waits. Die beiden live zu sehen gehört zu meinen frühesten musikalischen Erinnerungen, da kann ich nicht älter als fünf Jahre gewesen sein. ‚Rain Dogs‘ war mein erstes Lieblingsalbum, ich hatte also immer schon einen Bezug zu etwas schrägerer amerikanischer Folkmusik.“ Carney ist der Schlagzeuger der Black Keys, jenes amerikanischen Bluesrockduos, das den Blues fürs 21. Jahrhundert fit und auch für eine Generation attraktiv gemacht hat, die sich nicht unbedingt mit Robert Johnson das Taufbecken geteilt hat. Genau wie Sänger Dan Auerbach stammt Carney aus Akron in Ohio, einem ehemaligen Industriestandort, der im Zuge des Strukturwandels einen rapiden sozialen Abstieg erlebte. Die meisten Bands, die die beiden in ihrer Jugend gut fanden, machten auf ihren Tourneen einen Bogen um die Stadt, nur Junior Kimbrough und R. L. Burnside ließen sich regelmäßig blicken, um die Tradition des Country Hill Blues vor Ort am Leben zu erhalten. „Es ist tatsächlich nur ein kleiner Prozentsatz von Blues-Musik, mit der ich wirklich etwas anfangen kann“, stellt Patrick Carney klar. „Einen Großteil kann ich gar nicht leiden, was auch für Rockmusik gilt. Klar, ich bin selber Rockmusiker, führe ein entsprechendes Leben und liebe die Musik auch aufrichtig. Aber ich bin verdammt wählerisch. Die Wahrheit ist: Ich hasse schätzungsweise 99 Prozent aller Rockmusik, was mir jedes Mal wieder bewusst wird, wenn ich in einen Plattenladen gehe. Ich vermute, das ist so ähnlich wie bei einem Koch. Wenn man ein guter Koch ist, gibt es plötzlich eine Menge Gerichte, die einem nicht mehr gut genug sind.“ In der Küche des Blues, in der die Black Keys das Sagen haben, gibt es deswegen auch nur jene Spielart zu verkosten, die sich über einen repetitiven Rhythmus, einen latenten Sex-Appeal und den Charme des Unfertigen definiert. „Die Musik, die mir gefällt, hat weniger mit Authentizität zu tun als mit der richtigen Mischung aus Substanz und Stil“, erklärt der Schlagzeuger. „Stevie Ray Vaughan kann ich mir zum Beispiel nicht gut anhören, weil seine Sachen immer so sauber produziert sind. Mir gefällt Schmiere besser als Glanz.“

Damit „Delta Kream“ auf genau die richtige Art schmierig klingt, haben sich die beiden Musiker im Studio auf einen besonders spontanen Zugang geeinigt. Geprobt wurde aus Prinzip nicht, denn die täuschend simplen Klassiker saßen noch fest in der Erinnerung. Kleine Fehler beim Spielen wurden ebenfalls toleriert, denn das Perfekte ist der Feind des Guten. „Die Stücke auf unserer neuen Platte sind alle beim ersten, zweiten oder dritten Take entstanden“, berichtet Patrick Carney. „Manchmal waren wir uns gar nicht klar darüber, welche Akkordwechsel überhaupt wo hingehörten, wir haben einfach losgelegt. Das ist aber genau der richtige Zugriff, denn speziell diese Blues-Stücke würden ihre Aura verlieren, wenn man sie unnötig aufpolieren würde.“ Tatsächlich wurde „Delta Kream“ an nur einem Tag kurz vor Weihnachten eingespielt – und zwar bereits 2019. Erst während der Pandemie, als ein Großteil der menschlichen Interaktion inklusive der meisten Musikaufnahmen plötzlich über das Internet stattfand, bemerkte die Band den Reiz des Unbehauenen, der ihre Spontansession auszeichnete, und entschied sich für die Veröffentlichung. „Was ich an Musik liebe, war schon immer das menschliche Element“, sagt Patrick Carney. „Was man heute im Studio als Fehler bezeichnet, würde ich eher als Nuance beschreiben: das, was erst den eigenen Stil hervorbringt. Ich habe schon mit 23-jährigen Studiotechnikern gearbeitet, die in der Nachbearbeitung alles möglichst aufgeräumt haben wollten. Denen musste ich sagen, dass genau diese Unebenheiten der eigentliche künstlerische Aspekt sind. Wenn man die begradigt, wird es unpersönlich; ein Computer könnte so etwas fabrizieren. Unsere neue Platte ist jedenfalls ein gutes Beispiel für die Schönheit menschlicher Fehler.“

The Black Keys
Delta Kream

Nonesuch, 14. Mai

Falls die Frage war, ob echter Blues auch von dünnen weißen Jungs gespielt werden kann, lautet die Antwort: ja. Verstärkt durch ein paar Studiokollegen klingen die Black Keys auf ihrem neuen Album so breitbeinig, als hätten sie gerade den Teufel beim Würfeln beschummelt. „Delta Kream“ versammelt elf Coversongs aus den Eingeweiden des Mississippi Hill Country Blues und bedient sich auch dessen potenter Sprache. Von der „Crawling Kingsnake“ bis zu „Coal Black Mattie“ tauchen eine Menge Figuren auf, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Die „Schönheit menschlicher Fehler“ findet sich dabei nicht nur in den hier besungenen „Sad Days, Lonely Nights“, sondern auch in einer Stegreifproduktion, die ungeschliffene Kanten vermeintlicher Authentizität vorzieht. Aber was heißt schon authentisch, wenn man es stattdessen quicklebendig haben kann?


Foto: Joshua Black Wilkins

Markus Hockenbrink