Kino

10.11. | Kinostarts der Woche

10.11. | Kinostarts der Woche

Crimes Of The Future
Meinen Hass bekommt ihr nicht
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen


Der Herr der Körper

David Cronenberg widmet sich in seinen Filmen immer wieder der Körperlichkeit des Menschen in all ihren Extremen. „Crimes of the Future“ ist da keine Ausnahme.

Mr. Cronenberg, das Drehbuch zu „Crimes of the Future“ schrieben Sie bereits vor 25 Jahren. Hat sich das Skript über die Jahre verändert?
Nein, eigentlich nicht. Die Dialoge sind immer noch die gleichen, die ich damals zu Papier gebracht habe. Die einzigen Änderungen hatten mit den Produktionsbedingungen zu tun. Statt in Toronto haben wir in Athen gedreht, also musste ich das Setting anpassen und in der Geschichte kommen nun das Mittelmeer und Schiffe vor. Aber das war’s.

Es geht im Film um Menschen, deren Organe sich verwandeln, und Künstler, die radikal ihre eigenen Körper für ihre Performances einsetzen. Was diente Ihnen dafür als Inspiration?
Beeinflusst hat mich weniger die Performance-Kunst der 70er Jahre als zeitgenössische Körperkünstler. Zum Beispiel die Französin Orlan, die seltsame kosmetische Eingriffe an sich vornehmen lässt. Oder Stelarc aus Australien, der sich unter anderem in einen Roboterkörper begeben hat. Diesen ungewöhnlichen Einsatz des eigenen Körpers für die Kunst finde ich faszinierend, also wollte ich mir für meinen Film ähnliches ausdenken.

Aus Ihren Filmen spricht schon immer eine besondere Faszination für menschliche Körper, nicht wahr?
Ehrlich gesagt würde ich denken, dass wir uns alle eigentlich immerzu mit unseren Körpern auseinandersetzen. Früher dachte ich, es sind nur ältere Leute, die sich ständig über ihre Hüftgelenke, Operationen und Medikamente austauschen. Aber längst sind junge Menschen nicht anders, vor allem online geht es doch in einer Tour ums Fettabsaugen, Botox und andere Schönheitsoperationen. Und Eltern sorgen sich mehr denn je um die Körper ihrer Kinder. Letztlich greife ich also nur auf, was fester Bestandteil unserer Gesellschaft ist.

Wobei Sie natürlich noch einen Schritt weitergehen. Mindestens seit „Videodrome“ 1983 werden Ihre Filme regelmäßig als „Body Horror“ bezeichnet ...
Allerdings nicht von mir selbst. Ich kann mit dem Begriff nicht so viel anfangen. Meiner Meinung nach zeige ich nicht den Horror der Körper. Sondern ihre Schönheit. Und ihre Funktionsweise und wie sie unsere Realitätserfahrung prägen. Was soll daran grausam sein? Alle Filmemacher arbeiten mit Körpern, nichts filmen wir häufiger. Schließlich gehört auch ein Gesicht zum menschlichen Körper. Meine Herangehensweise ist vielleicht nur eine andere als bei vielen Kollegen.

Interview: Patrick Heidmann

Crimes Of The Future

  1. November, 1 Std. 47 Min.

In einer Rückbesinnung auf sein Frühwerk zeigt David Cronenberg eine düstere Welt, in der die Menschheit zu weiten Teilen vom „Beschleunigten Evolutionssyndrom“ betroffen ist, was bedeutet, dass viele von ihnen immer wieder neue Körperfähigkeiten oder gar Organe ausbilden. Das ist manchmal eklig, aber wenig schockierend, und trotz starker Stars (allen voran Viggo Mortensen, Léa Seydoux und Kristen Stewart) und ein paar philosophisch interessanten Gedanken manchmal auch etwas langweilig.


Meinen Hass bekommt ihr nicht

  1. November, 1 Std. 42 Min.

Am 13. November 2015 erschütterte eine Anschlagsserie Paris. Alleine in der Konzertlocation Bataclan ermordeten IS-Terroristen während des Auftritts der Band Eagles of Death Metal 90 Besucher. Zu den Opfern gehörte mit Luna-Hélène Muyal (Camélia Jordana) auch die Ehefrau von Antoine Leiris (Pierre Deladonchamps), dessen autobiographischer Roman als Vorlage dieses Films dient. Regisseur Kilian Riedhof erzählt dabei mit viel Fingerspitzengefühl und ohne reißerische Bilder, wie Leiris versucht, nicht nur den Tod seiner Geliebten, sondern auch den Verlust der Mutter seines Sohnes Melvil (Zoé Iorio) zu verarbeiten. Zwar zeugt „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ von der Unmöglichkeit, mit der schmerzhaften Trauer umzugehen, trotzdem vermittelt die Buch-Adaption jede Menge Kraft. Denn ungeachtet großer Verzweiflung ist Antoines Liebe zu seinem Sohn und zu den schönen Dingen des Lebens stärker als Angst, Misstrauen und Hass: „Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen.“

Dirk Hartmann


Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen

  1. November, 1 Std. 36 Min.

„Österreich hatte immer das Explosive in der Kunst“, sagt Elfriede Jelinek über ihr Heimatland. Sie erklärt sich das mit der Repression im Land, die sich sowohl staatlich, religiös und nicht zuletzt gesellschaftlich bemerkbar macht. Für die 76-Jährige, die schon in früher Jugend das Schreiben als Ausdrucksform für sich entdeckt – und nicht die Musik, zu der sie die Mutter zwingt –, gehört es zum Schaffensprozess, dabei „die Sprache von der Leine zu lassen“. Der Titel des Dokumentarfilms von Claudia Müller über die Schriftstellerin Elfriede Jelinek könnte also kaum treffender gewählt sein. Um Jelinek einem mehr oder weniger bewanderten Publikum näher zu bringen, ist es unumgänglich, einen kurzen Blick auf Österreich zu werfen. Nicht erst seit ihrem Literaturnobelpreis 2004 gilt sie dort als Nestbeschmutzerin, weil sie mit ihrer entfesselten Sprache Gier, Geiz, Doppelmoral und vor allem die historisch verdrängte Rolle der Alpenrepublik im Nationalsozialismus in unzähligen Werken auf den Punkt bringt.

Edda Bauer


Foto: Nikos Nikolopoulos