Heimkino
10.10. | Heimstart der Woche
Golda – Israels eiserne Lady
Bild: Aidem Media Ltd. Foto: Sean Gleeso
Politikerin der alten Schule
Regisseur Guy Nattiv erinnert mit »Golda« an Israels einstmals dunkelste Wochen – und an eine Premierministerin, deren Rolle in jener Krise heute ganz neu eingeschätzt wird. Wir sprachen mit dem Oscar-Gewinner, über seine Hauptdarstellerin und die Frau, die sie für ihn verkörpert.
Mr. Nattiv, Sie wurden 1973 geboren, dem Jahr in dem »Golda« spielt. Mit welchem Bild von Golda Meir wuchsen Sie auf?
Für mich war sie in erster Linie die Frau auf dem 50 Schekel-Schein. Und als jemandem, der eigentlich als Persona non grata galt, schließlich machte man sie für das größte Debakel in Israels Geschichte verantwortlich, den Jom-Kippur-Krieg. Deswegen war nach ihr – anders als nach einigen der Politiker und Offiziere, die unter ihr dienten – quasi nichts benannt, keine Schule, keine Plätze. Erst als vor zehn Jahren die unzensierten Dokumente aus jener Zeit öffentlich gemacht wurden, zeigte sich eine andere Wahrheit. Sie war eben längst nicht allein verantwortlich für das, was damals passierte.
Das machte sie zur idealen Filmheldin?
Sie brachte vieles mit, was sich für einen Film anbot, angefangen mit der Tatsache, dass die meisten Menschen gar nicht viel über sie wissen. Ich habe sie immer als interessante, geistreiche Frau gesehen, die auch eine Außenseiterin war, schließlich kam sie aus den USA und hatte eine andere Mentalität als viele Israelis. Sie wusste, mit den mächtigen Männern dieser Welt umzugehen. Und natürlich hatte sie ihre Fehler. Aber anders als es bei Politikerinnen und Politiker heute üblich ist, übernahm sie damals Verantwortung und trat zurück.
Sie geben trotzdem nur einen kleinen Einblick in Meirs Leben, denn »Golda« konzentriert sich ausschließlich auf die drei Wochen des Jom-Kippur-Kriegs…
Als ich das Drehbuch bekam, war das Projekt eigentlich ein Kriegsfilm, geschrieben von einem britischen Autor. Ich habe mich dann bemüht, meine israelische Perspektive miteinzubringen und die Sache authentischer zu machen. Aber der Fokus auf dem Oktober 1973 machte Sinn. Als uns dann der Großteil unseres Budgets wegbrach, wurde aus »Golda« schließlich mehr oder weniger ein Kammerspiel: Wir mussten den Krieg nach innen verlegen, in die Besprechungsräume und Militärzentralen. Als Vorbild habe ich mich da an »Das Boot« oder Oliver Hirschbiegels »Der Untergang«, die sich ja auch auf eine Location und einen ganz bestimmten Zeitraum konzentrierten.
Was macht Helen Mirren zur idealen Hauptdarstellerin für den Film?
Sie war schon mit an Bord, bevor ich dazu kam, weil Goldas Enkel Gideon Meir sie in der Rolle seiner Großmutter sehen wollte. Für mich war das ein Geschenk, schließlich ist sie eine der besten Schauspielerinnen unserer Zeit. Und schon bei unserem ersten Gespräch erzählte sie mir davon, wie sie sich als junge Frau in einen Israeli verliebte und für mehrere Monate in einen Kibbuz ging. Sie hatte schon lange eine enge Beziehung zu Israel, auch lange bevor das angesagt war. Darüber hinaus fand ich es gut, dass sie gewissermaßen als Außenseiterin in diese israelische Geschichte kam. Denn wie schon erwähnt war Golda als jemand, der in den USA aufgewachsen war, für viele auch zeitlebens »die Andere«.
Es gab Stimmen, die Mirrens Besetzung kritisiert haben, weil sie eben nicht selbst jüdisch ist. Hat Sie diese Diskussion überrascht?
Helen hat von Anfang an gewarnt, dass es einen Backlash geben wird, auch wenn ich als jüdischer Israeli kein Problem mit ihr als Golda hatte. Wäre am gesamten Film kein Jude beteiligt gewesen, hätte ich das schwierig gefunden. Aber um sie herum habe ich lauter israelische Schauspieler besetzt. Außerdem finde ich solche Debatten bedenklich, denn man sticht doch damit in ein Wespennest. Wenn nur Juden Juden spielen dürfen, heißt das dann im Umkehrschluss, dass sie keine nicht-jüdischen Menschen spielen dürfen? Das wäre doch verrückt. Letztlich hatte ich allerdings zum Glück den Eindruck, dass es nur ein paar Leute online waren, die viel Lärm um nichts gemacht haben. Bei der Israel-Premiere im vergangenen Jahr wurde Helen jedenfalls bejubelt und alle schienen stolz, dass jemand wie sie unsere frühere Premierministerin verkörpert.
Golda - Israels eiserne Lady Weltkino • ab 11. Oktober
Der Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 zwischen Israel auf der einen und Ägypten, Syrien und anderen arabischen Verbündeten auf der anderen Seite gehört zu den einschneidendsten und komplexesten Konflikten des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten. Mindestens als mitunter fast klaustrophobisch inszenierte, manchmal etwas spröde Geschichtsstunde funktioniert »Golda« also ohne Frage. Und den Film des in Kalifornien lebenden Regisseurs Guy Nattiv (»Skin«) im Kontext des genau 50 Jahre später ausgebrochenen neuerlichen Kriegs in der Region zu sehen, verleiht ihm eine zusätzliche Ebene. Vor allem aber lebt er von Oscar-Gewinnerin Helen Mirren, die umgeben von Zigarettenrauch, in orthopädischen Schuhen und sowohl dank als auch trotz Unmengen von Make-up und Prothesen Golda Meir mit Verve zum Leben erweckt.
Patrick Heidmann