Musik

10.02. | Album der Woche

Ryuichi Sakamoto • 12

Milan/Sony Music

10.02. | Album der Woche - Ryuichi Sakamoto • 12

Foto: Zakkubalan


Kurbad der Klänge

Die Kompositionen von Ryuichi Sakamoto besaßen schon immer eine heilende Wirkung. Mit "12" veröffentlicht der 71-Jährige nun ein "Tontagebuch" rund um den Heilungsprozess seiner eigenen Krebserkrankung.

Der japanische Komponist, Pianist und Produzent war nie ein Mensch für das große Rampenlicht. Dabei ist Ryuichi Sakamotos Status als einer der wichtigsten zeitgenössischen Grenzgänger zwischen Klassik, Ambient, Avantgarde, Jazz und Pop seit Jahrzehnten so evident wie unstrittig. Und das auf buchstäblich jedem Parkett, auf dem Töne irgendeine Rolle spielen, weil eben hinter jedem nächsten Ton auch eine neue Inspiration lauern kann. Sei es ein opulenter Filmscore – von denen einige mit Grammys, Golden Globes und auch mal einem Oscar veredelt wurden – oder eine leichtfüßige Synthie-Nummer, die der Popkultur en passant eine Aura von kultivierter Extravaganz verleiht; sei es das Designen von Klingel- und Signaltönen für Mobiltelefone, weil selbst darin ein kreativer Reiz stecken kann, oder die mit komplexer Metaphysis spielenden, interdisziplinären Installationen und Performances der letzten Jahre, in denen das gewohnte Verhältnis zwischen visuellen und auditiven Impulsen verschwimmt: Mit bald jedem nur denkbaren Klang kann der 71-Jährige emotionale Kontakte herstellen, die weit über das eigentliche Hören hinausgehen. Auch deshalb berufen sich Myriaden von Musikern seit Jahrzehnten auf Sakamoto als wichtigen Impulsgeber – gerade für seine Überzeugung, dass wahre Kreativität erst jenseits der üblichen Grenzen und Formeln entsteht. Wie auch die im Dezember erschienene Compilation "A Tribute To Ryuichi Sakamoto – To The Moon And Back" belegte, auf der höchst unterschiedliche Künstler wie David Sylvian, Thundercat, Cornelius, Alva Noto oder das Cinematic Orchestra Stücke aus seinem Repertoire neu interpretierten. Wohingegen der britische Star-Geiger Nigel Kennedy, so verriet er im GALORE-Interview, gegenwärtig gleich eine komplette Sakamoto-Werkschau für seine Violine erarbeitet. Während die globale Hochkultur ihm derart hingebungsvoll Tribut zollt, zahlte Ryuichi Sakamoto einen anderen Preis: Die vergangenen zweieinhalb Jahre verbrachte er komplett abseits von Musik buchstäblich im Stillen mit seinem anhaltenden Kampf gegen eine bereits 2014 diagnostizierte Krebserkrankung. Statt in Studios und Konzerthallen zu leben, fand er in wechselnden Kranken- und Kurhäusern sein "vorübergehendes neues Zuhause"; statt freudvoller Inspiration nur bange Introspektion, statt belebender künstlerischer Kollaboration ein einsames Akzeptieren seines betrüblich ungewissen Gesundheitszustands. Gleichwohl dabei nie einsam, weil stets begleitet von seinen zwei wichtigsten Werkzeugen: einem Synthesizer und einem Piano. Ohne die Absicht, in dieser Zeit überhaupt etwas zu komponieren, nutzte er die beiden Instrumente vielmehr als Werkzeug – und "schrieb" mit ihnen täglich Einträge in ein "Tontagebuch", in dem er klangliche Notizen seines aktuellen Gesundheits- und Gemütszustand festhielt. Zwölf dieser Tagebuch-Einträge, schlicht betitelt mit dem jeweiligen Datum ihrer Entstehung, versammeln sich nun auf »12«, das aufgrund der Umstände weniger ein neues Album als vielmehr ein mystisch entrücktes, minimalistisch flüsterndes Journal über seinen Kampf zurück ins Leben ist. Zumal sich »12« in einem wesentlichen Aspekt unterscheidet von seiner sonstigen Arbeit, denn diese fließenden Klangmeditationen sind restlos befreit von der Möglichkeit eines intellektuellen Zugangs. Ja, es sind nicht einmal Kompositionen im klassischen Sinne, eher kleine gemalte Gemütszustände, klingende Haikus seiner Stimmungen – mithin eine rein emotionale, persönlich intime Angelegenheit. Um erleben und nachfühlen zu können, wie aus diesen elegischen Synthieflächen und teils tröpfelnd einzelnen Pianoanschlägen die gesamte emotionale Palette zwischen Hoffnung und Resignation, Rückschlag und Euphorie, Schmerz und Verzweiflung erwächst, die Sakamoto während dieser Phase begleitete, sollte seinen Kopf zuvor am besten abschrauben. Denn »12« geht unmittelbar und ausschließlich in Resonanz mit dem Unterbewussten. Zurück bleiben der Wunsch und die Hoffnung, dass der Krebs nun endgültig besiegt wurde – umso mehr, nachdem er unlängst von seinem Freund und langjährigen Yellow Magic Orchestra-Mitstreiter Yukihiro Takahashi Abschied nehmen musste, der am 11. Januar seinen Kampf gegen einen Hirntumor verloren hat.


Ryuichi Sakamoto 12

Ryuichi Sakamoto
12

Milan/Sony Music, 17.01.

Weniger ist mehr: Ganz dieser Maxime folgend, drückt Ryuichi Sakamoto, ohnehin ein Meister der prägnanten Reduktion, auf "12" mit einzelnen Tönen, Klängen und teils einsam verhallenden Geräuschen, seine eigene Gefühlslage während der Heilung seiner Krebserkrankung aus. Man kann es förmlich nachfühlen, wie etwa eine unerwartete Dissonanz im Umfeld wabernder Synthie-Flächen von einem plötzlich wiederkehrenden Schmerz erzählt, den man längst für besiegt hielt. Ein brillanter Beleg, wie kolossal eindringlich und ergreifend selbst ein maximal auf die Spitze getriebener Minimalismus wirken kann.

Sascha Krüger