Literatur
09.04. | Buch der Woche
Antje Rávik Strubel • Der Einfluss der Fasane
S. Fischer
Sie ist ein Solitär
In »Der Einfluss der Fasane« gerät eine Journalistin ins Kreuzfeuer der öffentlichen Meinung – Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel erzählt von Kontrolle, Hybris und der Gnadenlosigkeit der Debattenkultur.
Mit den Menschen in Antje Rávik Strubels »Der Einfluss der Fasane« möchte man eher nicht befreundet sein. Alle Charaktere des Romans sind durch die Bank unsympathisch, undurchsichtig, durchtrieben, anbiedernd oder völlig größenwahnsinnig. Da macht die Autorin auch bei der Hauptfigur keine Ausnahme: Hella Renata Karl ist Journalistin, eine vom alten Schlag, und allem voran Feuilletonistin. Die Dialoge mit ihren Kollegen lesen sich so herrlich entrückt von der Realität, wie nur Feuilletonisten miteinander denken und sprechen. Klingt erst mal nach harmlos, unterhaltsamer Parallelwelt. Das Problem: Die glatte und feingeistige Oberfläche von Hella Karl bröckelt. Sie hat einen folgenschweren Fehler gemacht. Karl beschuldigte Kai Hochwarth, einen der bedeutendsten Theatermacher des Landes, seine Affäre am Theater zur Abtreibung gezwungen zu haben. Ganz öffentlich, in einem Dreispalter in ihrer Zeitung. Kurz darauf nahm er sich das Leben. Mit dem Ende seines Lebens verändert er auch das von Hella Karl grundlegend. Sie wird angefeindet, suspendiert und beschuldigt, Hochwarth in den Tod geschrieben zu haben. Für die sonst so scharfsinnige, perfektionistische Journalistin beginnt ein Kampf gegen den Kontrollverlust. Kontrolle ist das, was alle Figuren dieses Romans gerne wahren. Zunächst gelingt es ihr, sich nicht provozieren zu lassen. Doch Seite für Seite wird ihr Widerstand spröder, reißt an manchen Stellen. Die Öffentlichkeit hat sich ihre Meinung längst gebildet. Das, was Karl erlebt, ist kein herkömmlicher Shitstorm, es ist größer. Das weiß sie, das Wissen ihre entrückten Blattmacher-Kollegen. Hella Karls Situation zeigt: Die Rolle derer, die das Narrativ bestimmen, steht und fällt mit wenigen Zeilen, ja sogar einzelnen Worten. Der neue Roman der Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel zeichnet facettenreiche Charaktere mit scharfen Kanten, die sich vor allem um eines drehen: sich selbst. Die Journalisten nehmen sich wichtig, mit ihrer Verantwortung gehen sie dennoch fahrlässig um. Der Todesfall wird immer und immer wieder umgedeutet, um die eigene Schuld leichter abschütteln zu können. Trotz der Ernsthaftigkeit büßt »Der Einfluss der Fasane« nichts an Humor und Wortwitz ein. Die Spirale aus Selbstüberhöhung und Schuld eskaliert Seite um Seite, während die Autorin sich ausreichend Zeit nimmt, assoziativ geschickt mit der Sprache und den Abgründen ihrer Figuren zu spielen. Es macht auf fast perfide Art Spaß, den Bewältigungsstrategien und Verirrungen der Protagonistin zu folgen, die um (fast) jeden Preis ihr hart erkämpftes soziales Kapital erhalten will – während die Aufmerksamkeitsökonomie um sich greift, nach deren Regeln es vor allem um die schärfste, lauteste Headline geht. Dabei verkennen die Charaktere, dass es meistens mehr Töne zwischen Schwarz und Weiß gibt, als in einen Teaser passen. Das deckt sich mit der medialen Realität: mehr Polarität, mehr Populismus, mehr Kräftemessen zwischen Qualitätsjournalismus und dem Geschrei der sozialen Medien und Boulevard-Titeln. Die Vorzeichen stehen nicht auf Zwischentöne, sondern auf Totalität. Während die einen Cancel Culture schreien, geht es anderen um moralische Überlegenheit und wieder-um anderen um Fairness. Wo die Grenzen verlaufen, ist im schrillen Hochbetrieb öffentlicher Debatten mit freiem Auge zunehmend schlechter zu erkennen.
Antje Rávik Strubel
Der Einfluss der Fasane
S. Fischer / 240 Seiten / 24,00€
Elisabeth Krainer