Musik

09.04. | Album der Woche

Jon Batiste • We Are

Verve

„Das Schwerste ist, nicht aufzugeben.“

Es raschelt und klackert, Jon Batiste macht sich mit hörbar guter Laune fertig für den Tag. Der 34-Jährige hat viel vor, gleich steht ein Fototermin für die Golden Globes an – zwei Tage später wird er für „Soul“ den Preis für die beste Filmmusik bekommen. Unser Gespräch dreht sich um Politik und Nächstenliebe.

Guten Morgen Mr. Batiste, es ist 10 Uhr vormittags in New York. Sind Sie schon wach?
Ich nehme an, Sie kennen das Gefühl, am Morgen Dinge zu tun, aber dabei nicht richtig wach zu sein? Die meisten trinken dann Kaffee. Ich nicht. Ich lege Musik auf und tanze! Nur so komme ich aus dem Bett.

Ihr neues Album heißt „We Are“. Da drängt sich die Frage auf: Wer sind Sie?
Ich bin ein Mensch. Genau wie Sie. Wir sind etwas Besondere! Jeder ist einzigartig, auch unter den Milliarden, die schon gelebt haben. In Krisenzeiten suchen wir nach Menschen, die uns zeigen, wie es weitergeht. Dabei ist die Frage gleichzeitig auch schon die Antwort. Wir sind… was? Wir sind es!

Auf die Frage, was Ihre Persönlichkeit ausmacht, haben Sie mal geantwortet: „Jon Batiste loves you and loves the music.“ Ich habe Ihnen sofort geglaubt. Aber ein bisschen kitschig ist das schon, oder?
Schon, aber ich mag, wie schlicht das klingt. Das ist schlichte Existenz – liebe dein Publikum, und liebe das, was du machst. Wenn du danach lebst, kannst du nie verlieren.

Lieben Sie auch Ihre Gegner? Zum Beispiel die Ultrarechten, die das Kapitol gestürmt haben?
Ich liebe es, mit Leuten zu sprechen, die mich hassen! Mit Leuten, die mich für eine bestimmte Person halten. Das kommt von einer falschen Wahrnehmung, als ob es eine Trennscheibe zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen gäbe. Es gibt Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle dieser Menschen liegen. Sie sind dann einfach falsch abgebogen. Sie haben das Gefühl, nur noch mit Gewalt oder Destruktivität reagieren zu können. Die Typen, die das Kapitol gestürmt haben, haben das nicht spontan beschlossen. Es war die Kulmination von Ereignissen etlicher Jahrzehnte, vielleicht sogar eines ganzen Jahrhunderts.

Aber sollte man mit Gewalttätern reden?
Wir Menschen werden ja nicht mit dem Drang geboren, gewalttätig zu werden. Deshalb sollten wir unsere Feinde lieben. Wir müssen dabei nicht einer Meinung sein, und wir sollten ihr Verhalten nicht stillschweigend billigen. Musik ist eines der wenigen Dinge mit universeller Kraft. Sie kann die Leute zusammenbringen.

Na gut, aber wie erreichen Sie all jene, die eine fundamental andere Meinung haben?
Ich muss sie gar nicht erreichen. Denn ich bin auf ihrer Seite, auf der Seite der Mitmenschlichkeit. Ich will Menschen stärken, ich will, dass sie ihre spirituelle Ader entdecken. Als gläubiger Mensch weiß ich: Ich muss niemanden auf meine Seite ziehen. Musik kann dir eine Welt eröffnen, die du zuvor nicht sehen konntest. Ich muss niemanden überzeugen oder scharenweise Fans anziehen.

Wie werden sich die USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden entwickeln?
Die USA werden sich weiterhin ständig verändern. Unser Land existiert nur deshalb, weil Menschen verschiedenster Kulturen es schaffen, friedlich nebeneinander zu leben und dabei ständig Kompromisse einzugehen. Ich habe Respekt vor jedem, der seinen Job ernst nimmt. Wir müssen unseren Anführern vertrauen. Aber es wird nicht die eine Person geben, die uns dauerhafte Stabilität gibt. Weder Joe Biden noch Kamala Harris.

Sie sind seit ihrem 17. Lebensjahr Profi-Musiker. Damals steckte das Land nicht in einer vergleichbaren Krise – aber Sie waren bestimmt auch mal an einem Punkt, alles hinwerfen zu wollen.
Ja, das gab es oft. Aber man muss halt weiterleben. Wenn ich mich an die Punkte erinnere, an denen ich aufgegeben habe, dann kommt mir immer auch das Nicht-Aufgeben in den Sinn – in einem größeren Kontext. Als ich aufgehört habe, Trompete zu spielen, habe ich nicht aufgehört, Musik zu machen. Ich habe weiter nach meiner Identität als Künstler gesucht. Oft verheddern wir uns auf unseren Wegen. Wir denken: wenn wir dieses eine Ziel nicht erreichen, klappt gar nichts. Aber so ist es nicht.

Wir leben in einer kapitalistischen Welt. Alle wollen gewinnen.
Sicher. Aber gewinnen ist nicht gleichbedeutend damit, sein Ziel zu erreichen. Denn Ziele ändern sich! Du willst ja auch nicht mehr das, was du wolltest, als du fünf Jahre alt warst. Wenn du nicht aufgibst, merkst du, dass du das findest, wonach du gesucht hast. Es kommt von alleine. Das Schwerste ist, nicht aufzugeben. Darauf sollte man sich konzentrieren.


We Are **
Verve, 19. März

Gospelchöre und Marching Bands, dazu illustre DJs, Bläser und namhafte Instrumentalisten wie Vulfpeck-Gitarrist Cory Wong – Jon Batiste verdeutlicht schon mit der Besetzung, dass er nicht mehr bloß im Jazz zu Hause ist. Der Mann aus New Orleans (Markenzeichen: ein beherzt vorgetragenes „Yes, indeed“) hat ein gut gelauntes Pop-Mixtape veröffentlicht, mit Trap, Funk, Souljazz, Old-School-Rap und ganz viel Gospel. Wer den puren Sound des jazzigen Südstaaten-Pianos vermisst, der sollte Batistes Instagram-Auftritt begutachten. Auf „We Are“ ist dagegen fast alles tanzbar, und doch fügt sich eine schlichte Ballade wie „Cry“ perfekt ein. Das Album ist eine echte Familienangelegenheit, Papa Michael spielt Bass, die Neffen in der Marching Band, der Großvater ist mit dem Ausschnitt aus einer Predigt zu hören. Ein Riesenspaß – „Yes, indeed!“


Foto: Justin French

Jan Paersch