Literatur
08.04. | Hörbuch der Woche
Martina Behm • Hier draußen
Hörbuch Hamburg
Nie eindimensional
Schauspielerin und Sprecherin Julia Nachtmann nimmt schon mal zehn bis zwanzig Hörbücher im Jahr auf. Jetzt hat sie »Hier draußen«von Martina Behm eingesprochen – ein »perfect match«, wie sie sagt.
Julia Nachtmann, wie entscheiden Sie, ob Sie ein Projekt annehmen oder nicht?
Wenn ich eine Anfrage für ein Hörbuch bekomme, liegt in den seltensten Fällen schon der gesamte Text des Buches vor. Ich kenne bei meiner Entscheidung also meistens nur den Autorennamen und eine Leseprobe, damit ich einen Eindruck vom Schreibstil bekomme. Ich bin dabei, wenn mir dieser zusagt und mich die Geschichte interessiert – manchmal entscheide ich auch einfach zugunsten meines Lebens-unterhalts. Am schönsten ist es natürlich, wenn ein Autor oder eine Autorin sich explizit wünscht, dass ich das Buch einlese. Bei Martina Behm war genau das der Fall. Ein perfect match sozusagen.
Was hat Sie an Behms Dorf-Geschichte inhaltlich gereizt?
Ein Paar aus Hamburg, Lara und Ingo, erhofft sich auf dem Land mehr Nähe, weniger Ablenkung und eine lang ersehnte Idylle. Es zieht mit den beiden Kindern Erik und Erin von der Stadt aufs Land. Aber schon auf den ersten drei bis vier Seiten des Buches erfahren wir als Leser beziehungsweise Hörer, dass all diese Erwartungen vom Landleben nicht erfüllt wurden. Und als Ingo, der nach drei Jah-ren immer noch mit dem Auto zu seinem Arbeitsplatz in Hamburg pendelt, dann auch noch in einen Wildunfall mit einer weißen Hirschkuh verwickelt ist, musste ich unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht. Denn: Im Dorf heißt es, dass wenn man eine Hirschkuh tötet, man ein Jahr später selber dran ist. Nach 28 Seiten war ich bereits so gefesselt, dass ich nicht mehr davon los wollte.
Um welche übergeordneten Themengeht es?
Das Buch ist ein Abbild unserer Gesell-schaft im Kleinen, das sich anhand einer Dorfgemeinschaft offenbart. Es ist sehr naturverbunden und hinterfragt die fort-schrittlichen technischen Entwicklungen in der Tierhaltung, die als unverzichtbar gelten, aber fast nur profitorientiert ausge-richtet sind. Sie lassen wenig Freiraum für eigene Wertevorstellungen. Und zu guter Letzt geht es um feste traditionelle Struk-turen – und wie schwer es vor allem für Frauen sein kann, sich daraus zu befreien.
Gibt es Passagen oder Charaktere, die für Sie als Sprecherin besonders heraus-fordernd waren?
Martina Behm hat ein Talent dafür, die Menschen in ihrer Geschichte unglaub-lich plastisch und nie eindimensional zu zeichnen. Wenn ich eine Figur in einem Kapitel richtig gernhabe, lerne ich kurze Zeit später vielleicht eine Seite von ihr ken-nen, die mich daran wieder zweifeln lässt. Genau umgekehrt ging es mir mit dem Schweinebauern Enno. Der behandelt seine Frau Tove so respektlos, dass das für mich phasenweise nur schwer auszuhalten war. Später erfährt man jedoch mehr über ihn und seine Kindheit und da habe ich mich dabei ertappt gefühlt, ihn etwas zu schnell in eine Schublade gesteckt zu haben. Natür-lich entschuldigt die Vergangenheit sein Verhalten nicht, aber man bekommt eine Ahnung davon, wo dieser ganze Groll und die Verbitterung herkommen, für die Tove nun als Ventil herhalten muss.
Welche Weisheit steckt in »Hier draußen«?
Dass nicht immer alles so kommt, wie man es vermutet oder sich wünscht. Wenn man es aber trotzdem schafft, offenzubleiben für Neues und den Mut findet, auch mal andere, unbekannte Wege zu gehen, kann es das Leben letztendlich reicher und nicht ärmer machen.
Martina Behm
Hier draußen
gelesen von Julia Nachtmann
Hörbuch Hamburg / 14 Std. 6 Min
Hannah Heubel