Literatur

08.01. | Buch der Woche

Martin Suter & Benjamin von Stuckrad-Barre • Kein Grund, gleich so rumzuschreien

Diogenes

08.01. | Buch der Woche - Martin Suter & Benjamin von Stuckrad-Barre • Kein Grund, gleich so rumzuschreien

Bitte keine Sonnenblumen

Die Schriftsteller-Freunde Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre setzen ihre gedruckten Gespräche fort. In »Kein Grund, gleich so rumzuschreien« geht es wieder um Gott und die Welt.

Das Gute an echten Freundschaften ist ja, dass man auch nach längerer Zeit der Funkstille den Faden wieder aufnehmen kann, als wäre nichts gewesen. Nach allem, was man weiß, sind der Schweizer Schriftsteller Martin Suter und der deutsche Autor Benjamin von Stuckrad-Barre ziemlich gute Freude. Spätestens, seit sie 2020 gemeinsam den Band »Alle sind so ernst geworden« herausgegeben haben, ein Buch, das quasi im Wortlautdialog die Gedanken der beiden zu Badehosen, LSD, dem Aussetzer »ähm« in Konversationen oder einfach »Glitzer« festhielt – entstanden bei verschiedenen Sessions an der Ostsee. Die Kapitel mäanderten unentwegt zwischen Gespräch und Gelaber, Banalität und Bedeutung, genau das machte den Reiz aus.

Jetzt also folgt die Fortsetzung nach dem gleichen Prinzip: Suter und Stuckrad-Barre lassen sich wiederum vom eigenen Rede- und Gedankenstrom treiben, bloß statt das Ganze als Podcast zu veröffentlichen wie andere Männer (die Unterhaltungen aus »Alle sind so ernst geworden« gab es ursprünglich mal als Podcast) veröffentlichen sie die Transkripte ihrer Konversationen zwischen Buchdeckeln. Wozu ihnen wiederum ein schöner Titel eingefallen ist: »Kein Grund, gleich so rumzuschreien«. Zumindest die gefühlte Lautstärke des plaudernden Autoren-Duos bleibt auf Zimmernormalmaß, die Rollen sind einmal mehr klar verteilt: Stuckrad-Barre gibt den Wortgirlanden flechtenden Gegenwarts-Bespöttler, der 27 Jahre ältere Suter den besonnenen Sidekick.

Zu Beginn bekommt unter anderem die Rose ihr Fett weg. »Eine unfassbar dumme Blume eigentlich«, findet Stuckrad-Barre, »profaner geht es nicht, restlos leergesungen, weggefilmt und kaputtgemalt ist die Rose, aufgeliebt und zu Tode beschrieben. Die Phrase als Gewächs. Ein Klischee für die Vase«. Wow, was für ein Floristik-Rant! Aber gut, warum nicht mal eine Zierpflanze dissen? Stuckrad-Barre findet jedenfalls Sonnenblumen besser, was wiederum Martin Suter mit der erhellenden Kritik kontert, die sei ihm »ein bisschen zu gelb-schwarz«, kurzum, »die Karikatur einer Blume, eine abgegriffene noch dazu«. Fazit: »Schenk mir bitte nie eine.«

Es wird aber auch existenzieller, zum Beispiel im Gespräch über Albträume. Stuckrad-Barre träumt in regelmäßigen Abständen, die Drogensucht habe ihn wieder im Griff. Suter hingegen ist Schlaflabor-Kunde, allerdings wegen einer Apnoe, nicht aus Alb-Gründen. Beide sind übrigens erklärte Gegner der Sinnsuche, egal, ob es um Traum- oder Realitätsdeutung geht. Suter – ganz der Schweizer Feingeist – legt dabei Wert auf Differenzierung: »Es geschehen Dinge sinnlos, es geschehen aber auch Dinge grundlos. Viel seltener sind die Dinge, die zwecklos passieren.« Stuckrad-Barre entgegnet: »Deshalb ist ja die Spezies Mensch so verloren auf der Erde, weil sie immerzu Sinn sucht, wo es keinen gibt.« Das sollte man übrigens auch bei der Lektüre dieses munter-assoziativen Buches im Hinterkopf behalten.

Das Albtraum-Kapitel nimmt noch einen berührenden Turn zum Unfalltod von Suters dreijährigem Adoptivsohn vor 15 Jahren. Überwiegend aber – egal, ob es um Reisebüros, Rasenmähroboter, Sisyphos oder Sehtests geht – dominiert ein Ton des abgeklärten Über-den-Dingen-Stehens und des ironischen Anekdoten-Pingpongs. Zum Schluss geht’s dann noch um die Liebe. Und darum, was Romantik ist. Stuckrad-Barres findet: »Beim Warten auf den Schlüsseldienst eine warme Bierdose zu teilen.« Suter kontert mit der ihm eigenen Vornehmheit: »Naja. Geschmackssache.«


Martin Suter + Benjamin von Stuckrad-Barre

Kein Grund, gleich so rumzuschreien

Diogenes / 320 Seiten / 26,00 €

Patrick Wildermann