Musik

08.01. | Album der Woche

Mariza • Mariza Canta Amália

Warner

Foto: Miguel Ângelo

Sonnige Melancholie

Die populärste Fado-Sängerin der Gegenwart verneigt sich auf »Mariza Canta Amália« vor der berühmtesten Fado-Interpretin aller Zeiten: Amália Rodrigues.

Mariza, was ist das Einzigartige am Fado?
Fado gibt allen menschlichen Emotionen eine Stimme. Fado ist so viel mehr als nur traurige Musik. Fado-Lieder künden von Glück, von unendlicher Liebe, von Eifersucht, von der typisch portugiesischen Sehnsucht, die wir » saudade « nennen. Und eben auch von Melancholie, die sich für mich deutlich von Traurigkeit unterscheidet. Während Traurigkeit ein schwarzes Loch ist, ist Melancholie wie der erste Sonnenstrahl an einem verregneten Morgen.

Amália Rodrigues, die in diesem Jahr 100 geworden wäre, ist die größte und berühmteste Stimme des Fado. Vermutlich kennen Sie ihre Lieder von klein auf? Es ist wirklich peinlich, aber ich bin erst mit 16 Jahren zufällig in einem Musikladen auf sie gestoßen. Und dabei singe ich Fado, seit ich fünf bin. Meine Eltern hatten eine Taverne in der Altstadt von Lissabon, dort kam ich früh mit dem Fado in Berührung. Aber ich kannte eben nur die unbekannten Fado-Sängerinnen und -Sänger, die bei uns im Viertel lebten und in unserer Kneipe auftraten. Nach und nach entdeckte ich dann Amálias Lieder und verliebte mich zusehends in ihre Musik.

Amália starb 1999, Sie haben Ihr erstes Album erst drei Jahre später veröffentlicht. Führen Sie ihr Erbe fort?
Es wäre definitiv zu anmaßend, mich als die neue Amália zu bezeichnen. Was ich aber sagen kann: Als ich anfing, war der Fado nicht sehr populär. Seitdem hat sich vieles geändert, und Fado boomt nicht nur in Portugal, sondern in aller Welt. Inwieweit ich dafür mitverantwortlich bin, oder ob das lediglich am Aufstieg Lissabons zu einer der beliebtesten Städte Europas liegt, das kann ich nicht sagen.

Der Fado ist die traditionelle portugiesische Volksmusik. Ist es wichtig, dass er mit der Zeit geht?
Der Fado ist einerseits eine zeitlose Kunstform, deren Texte mitunter auf sehr alter Lyrik basieren. Doch der Fado atmet, er ist höchst lebendig. Er entwickelt sich mit der Gesellschaft. Die Basis des Fado liegt in der Tradition, aber meine Interpretation spiegelt das Leben im Jahr 2020 wider.

Inwiefern ist »Mariza Canta Amália« ein posthumes Geschenk an Amália?
Es ist in erster Linie meine Art, mich bei ihr für alles zu bedanken. Sie hat das Gesicht des Fado für immer verändert. Doch zugleich schenke ich mir dieses Album auch selbst zu meinem 20-jährigen Jubiläum.

MARIZA
Mariza Canta Amália

Warner

Marisa dos Reis Nunes, Tochter eines Portugiesen und einer Mosambikanerin, hat dem vor Jahren als etwas angestaubt geltenden Fado zu neuem Glanz verholfen. Die 46-jährige Mariza ist die global erfolgreichste Botschafterin jener vor hunderten von Jahren in den Armenvierteln Lissabons entstandenen Volksmusikform, deren Kern aus Gesang und portugiesischer Gitarre besteht und die für unsere Ohren trauriger klingt, als sie meistens gemeint ist.

Steffen Rüth