Literatur

07.07. | Buch der Woche

Eula Biss • Was wir haben

Hanser

Wir sind Monopoly

Der Kapitalismus kennt kein Außerhalb: Wie die Marktlogik in unsere Köpfe einzog, dokumentiert Eula Biss in einem Buch, das einer Offenbarung tiefer Wahrheit gleichkommt.

Alles beginnt mit einem Anwesen. Oder doch einem Anlageobjekt? „Mein Großvater warnte mich allerdings kurz vor dem Kauf: Ein Haus sei ein Ort zum Leben. Keine Investition.“, schreibt Eula Biss in ihrem erzählenden Essay „Was wir haben. Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge“. Statt wie so viele Bücher der vergangenen Jahre einfach zu einer abstrakten Kapitalismusschelte anzutreten, entwickelt sie ihren kritischen Blick auf unser heutiges Wirtschaftssystem aus der eigenen Biografie heraus. Kaum im Eigenheim angekommen, stellen sich Fragen über den neuen Stand in der Gesellschaft. Welche Farbe kauft man für das Streichen der Tapeten? Wann ist man Bewohner? Wann Eigentümer? Und ist Wohlstand ein Privileg, für das es sich zu schämen gilt?

Weniger mit Zahlen als vielmehr mit verblüffend findigen Alltagsbeobachtungen führt uns die US-Autorin vor Augen, wie die Warenökonomie der Moderne vor allem unser Bewusstsein beherrscht. Wir definieren uns durch Gegenstände, die wir anschaffen, während wir selbst zu Einheiten von Werbealgorithmen degenerieren. Das sich selbst designende Subjekt erweist sich eben zugleich als Designobjekt. Dabei stehen wir dauerhaft in gefühlter Konkurrenz. Den Boden für unsere mentale Verwandlung zum wettbewerbsfähigen Ich bereiten bereits Spiele in unserer Kindheit, wie ein Nachmittag mit einem echten Klassiker veranschaulicht. „The Landlord‘s Game, später in Monopoly umbenannt“, erinnert sich Biss, „wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden, um die Probleme eines Wirtschaftssystems aufzuzeigen, in dem Immobilienbesitzer ‚gewinnen‘, wenn sie Mieter in den Ruin treiben. Das Spiel basierte auf einer Theorie von Henry George, der zufolge Profite […] gleichmäßig auf alle verteilt werden sollen. George argumentierte, keine Einzelperson solle mit der Beanspruchung einer kollektiven Ressource Reichtum anhäufen können. Er glaubte, jeder habe ein Recht auf die durch seine Arbeit erzielten Gewinne, während aus […] Immobilienbesitz generierte Profite hoch besteuert werden sollten.“ So war der Prototyp, erfunden von Elizabeth Magie, durchaus noch eine faire Sache. Doch wie es die Ironie des Schicksals wollte, nahm sich ein anderer, genauer: ein Charles Darrow, der Idee an und vermarktete sie für Millionen von Dollar. Durch ihn haben wir heute die eher raubtierkapitalistische Variante zu Hause.

Monopoly und dessen Geschichte fungiert nur als eines von vielen Beispielen, die die Autorin anekdotisch in ihre tagebuchartigen Schilderungen einbaut. Leichthändig zitiert sie Theorien von Adam Smith bis hin zu Nobelpreisträgern wie Robert J. Shiller oder Eugene Fama, um deren Ansichten auf das Kleinklein der menschlichen Existenz herunterzubrechen. Wer hätte schließlich geglaubt, dass der Tausch von Pokémon-Karten oder das Servieren von Tee auf kapitalistische Dispositive zurückgehen? Abwegig? Keineswegs. Dieses Buch ist eine Schule in Sachen Wahrheit und veranschaulicht, wie unser vermeintlich freies Leben schon immer unter dem Schleier der Ökonomie gelegen hat.

Eula Biss
Was wir haben

Hanser, 320 Seiten

Björn Hayer