Literatur

07.04. | Buch der Woche

Ottessa Moshfegh • Der Tod in ihren Händen

Hanser Berlin

Lockruf des Todes

Ottessa Moshfeghs Roman „Der Tod in ihren Händen“ spielt mit schaurigem Trash und obsessiver Fiktion. Der Tod entfaltet einen verführerischen Sog.

Ottessa Moshfegh ist eine der faszinierendsten weiblichen Stimmen der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Persisch-kroatischer Abstammung ist sie, 1981 in Boston geboren, in Los Angeles lebend. Eine vielfältige Herkunft, und allein schon großer Quell der Inspiration. Vor allem aber wurzelt Moshfegh im Reich der Fantasie. Aufsehen erregte sie hierzulande mit ihrem 2018 bei Liebeskind erschienenen Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“, in dem sie kurzerhand ihre Heldin in den Winterschlaf versetzte, um ihr die schnöde Scheinwelt zu ersparen. In „Der Tod in ihren Händen“ schickt sie ihre Protagonistin nun nicht in die selbstgewählte innere Verbannung, sondern in Einsamkeit und Tod. Vesta lebt nach dem Tod ihres Mannes in einem abgeschiedenen Haus mitten im Wald. Lediglich der Hund Charlie ist ihr ein treuer Begleiter. Auf einem ihrer Spaziergänge entdeckt sie einen Zettel mit einer kryptischen Nachricht: „Sie hieß Magda. Ich war es nicht.“ Was wie ein Kriminalfall beginnt, entspinnt sich zur Obsession einer Todgeweihten. Immer mehr entfernt sich Vesta von der Zivilisation, beginnt zunächst den Kiefernwald als einen Innenraum, ein Wohnzimmer zu imaginieren. Symbiotisch lebt sie mit ihrem Hund, teilt den Lebensraum und auch das Bett. Gerüche, ihr eigener und fremde, werden um so dominanter, je mehr das eigentliche Leben mit echten Menschen von erdachten Figuren in den Hintergrund gerückt wird. Im dunklen Wald keimen die Figuren, sprießen Magda und Blake aus dem feuchten Boden. Der Wald ist trügerisch. Das Tückische am Wald, das Dunkle, ach so Stille, überhöhten die deutschen Romantiker zum „Hallraum der Seele“ (Joseph Eichendorff). So wie man hineinruft, schallt es also heraus, ganz als habe der Wald kein Eigenleben, als bestehe seine Existenz einzig in seiner Echofunktion. Bei Moshfegh aber gewinnt eine einsame, alte Frau eine unheimliche Schöpferkraft über die Wirklichkeit. Das gemahnt manchmal an Netflix-Waldschocker, in denen Kinder verschwinden und Neurosen erblühen, Kannibalen und vergewaltigende Bäume ihr Unwesen treiben. Moshfegh aber geht dem Trash nicht auf den Leim, auch wenn sie mit dem Genre durchaus zu spielen vermag. Vesta philosophiert vielmehr über einen „Gedankenraum“, der auch nach dem Tod fortbestehen könnte. Eine zärtliche Zuneigung bringt sie diesem Tod entgegen, der ihr „fragil wie tausend Jahre altes brüchiges Papier“ scheint: „Eine falsche Bewegung, und alles würde mir zwischen den Fingern zerfallen.“ Das Leben dagegen wirkt „vorlaut und aufdringlich“ wie ein „Klassenrüpel“. Die Sehnsucht, aufzugehen in dieser Natur, die zugleich verlockend und bedrohlich ist, wächst. Irgendwo flüstert vielleicht ein Gott: „Mein kleines Täubchen“, und Vesta wird Teil einer friedlichen Dunkelheit sein. Die Sterne aber funkeln weiter dort oben am Himmel, „schamlos“ und mit aller „Dreistigkeit“. Moshfeghs Tod ist ein Verführer. Man muss ihn bloß erkennen.


Ottessa Moshfegh
Der Tod in ihren Händen

Hanser Berlin, 256 Seiten

Ute Cohen