Musik

07.01. | Album der Woche

Nina June • Meet Me On The Edge Of Our Ruin

Nettwerk

Foto: Rui Reis Maia


Schönheit im Verfall

Es ist 5 vor 12. Nina June widmet dem Verfall der Welt gleich ein ganzes Album. Doch es ist auch Platz für Hoffnung in den großen Folk-Stücken.

„Meet Me On The Edge Of Our Ruin“ ist nicht nur ein sehr imposanter, sondern auch ein programmatischer Titel. Nina June selbst versteht das zugehörige Album nämlich als Einladung dazu, gemeinsam auf die Ruinen des eigenen Lebens zu schauen. Im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Sinne. „Ich möchte, dass man erkennt, wo wir gerade stehen und was wir hinter uns gelassen haben. Und vor allem: Wohin wir jetzt wollen“, ergänzt die niederländische Künstlerin diese Sinnzuschreibung. Die zugehörigen zehn Stücke drehen sich alle um Verlust in den unterschiedlichsten Schattierungen und Facetten. Mal klingt das nach Musik gewordener Hiobsbotschaft wie in „World on Fire“, mal hoffnungsspendend wie in „Build a Boat“ – und worin besteht der grundsätzliche Tenor? „Ich würde sagen, es steht 50:50 zwischen Optimismus und Zweifel. Zum einen möchte ich einen sicheren Hafen bieten, den wir gerade alle so dringend brauchen. Aber ich kann auch nicht einfach sagen, dass alles gut wird – wenn wir jetzt nicht aktiv werden,“ bekräftigt Nina June mit fester Stimme.

Derart aktivistische Töne sind für die Lyrics der Musikerin Neuland, in ihrem sonstigen künstlerischen Ausdruck jedoch fester Bestandteil: June lebt seit vielen Jahren vegan und kooperiert für ihre Auftritte mit nachhaltigen Modelabels. „Für mich hat es einfach nicht mehr gereicht, nur über mich als Person zu sprechen. Wenn du das Privileg hast, Leute zu erreichen, dann solltest du das auch nutzen, um einen positiven Wandel herbeizuführen.“ Dass diese Haltung nun auch in den Texten Platz findet, ist jedoch mehr dem Zufall als einer Strategie geschuldet, wie die Künstlerin erklärt. „Meist steht am Anfang die Melodie und ich singe dann einfach intuitiv irgendetwas. Mein Unterbewusstsein hat mich bei „World on Fire“ dann automatisch zum Thema Nachhaltigkeit geführt, das mich ohnehin sehr beschäftigt.“ Den Mut, neue Wege zu bestreiten, hat June auch von ihrem Produzenten Duncan Willis ans Herz gelegt bekommen. Dieser explorative Geist führte etwa zu „Beneath the Surface“, das die Verzweiflung einer Frau thematisiert, die schließlich im Mord am Ehemann mündet. „Ich finde es interessant, über düstere Themen zu singen. Schließlich hat jeder von uns auch eine solche Seite in sich. Deswegen lieben wir alle True Crime!“ Und vielleicht vereinen sich in diesem Album gewordenen Zwischenspiel aus Licht und Schatten auch deswegen so viele menschliche Schicksale.

Nina June
Meet Me On The Edge Of Our Ruin

Nettwerk, 26. November

Über die breitflächigen Arrangements aus Streichern, Klavier und akustischer Gitarre legt sich die sanfte Stimme Nina Junes wie ein wohlig warmer Teppich – ganz anders als noch auf dem elektronischeren Vorgänger „Bon Voyage“. Dafür holte Produzent Willis sogar extra Sally Herbert an Bord, die bereits Streicher für Björk und Radiohead arrangiert hatte. Inmitten dieser cineastischen Weiten findet das Storytelling-Talent Nina Junes eine unmittelbare Bühne, die Gänsehaut verspricht.

Julia Köhler