Musik

06.07. | Album der Woche

Brad Mehldau • Seymour reads the constitution

Foto: David Baezemore

BRAD MEHLDAU TRIO

Seymour Reads The Constitution!

Nonesuch • 18. Mai


Genre? Mehldau

Brad Mehldau hat es längst nicht mehr nötig, sich als Genie des zeitgenössischen Jazz zu profilieren. Eine Pause gönnt sich der 47-Jährige trotzdem nicht.

SeymourreadstheconstitutionFür die Menge an kreativem Output, die Brad Mehldau allein 2018 schon auf CD gebracht hat, brauchen andere Jahre. Noch keine drei Monate ist es her, dass der Jazzpianist mit seinem Solo-Werk „After Bach“ Kritiker und Zuhörer auf der ganzen Welt begeisterte. Die Idee, Präludien und Fugen des barocken Klassikers „Das Wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach nicht nur zu interpretieren, sondern jeweils mit einer Eigenkomposition weiterzuentwickeln und so den Staub des fast 300 Jahre alten Werkes aufzuwirbeln, war mehr als erfolgreich. Und das, obwohl „After Bach“ nicht unbedingt Jazz und ganz sicher keine leichte Kost ist. Es sind die frischen Ideen, die augenzwinkernden Zitate und die unvorhersehbaren Wendungen, die Brad Mehldaus pianistisches und improvisatorisches Können von dem vieler anderer unterscheiden. Bereits mit sechs Jahren entdeckte er seine Liebe zu den Tasten, die er mit einem Studium am renommierten Berklee College of Music in Boston konsequent weiterentwickelte. Im Gegensatz zu manchen Kollegen sträubte sich Mehldau – egal ob als Solo-Künstler oder mit seinem Trio – nie gegen den Einfluss anderer Genres. Beherzt nahm er sich beispielsweise Songs der Alternative-Band Radiohead oder der Beatles an und öffnete damit Türen, die seitdem längst nicht mehr so monumental und unbeweglich sind. Das ist auch auf „Seymour Reads The Constitution!“ nicht anders. Neben den drei Eigenkompositionen „Spiral“, „Ten Tune“ und dem Titeltrack interpretiert er gemeinsam mit seinen langjährigen Weggefährten, Schlagzeuger Jeff Ballard und Bassist Larry Grenadier, nicht nur Stücke der Popikonen Paul McCartney und Brian Wilson, sondern auch Jazz-Klassiker. Doch obwohl die einzelnen Titel aus unterschiedlichen Zeiten und Federn stammen, vereint das Brad Mehldau Trio sie alle mit seiner musikalischen Sprache und kreiert so sein eigenes Genre. Die charakteristische Balance zwischen solistischer Virtuosität und der Weiterentwicklung melodischer und metrischer Themen hat das Trio auf „Seymour Reads The Constitution!“ gemeinsam perfektioniert. Popsongs verwandeln sich in luftige Jazznummern, die auch ohne Gesang Melodien zitieren und melodische Schemen beibehalten, bevor sie zu neuen Ufern aufbrechen, ohne das Land jemals gänzlich aus den Augen zu verlieren. Egal ob solo oder gemeinsam mit seinem Trio: Brad Mehldau ist einer der großen Ausnahmekünstler unserer Zeit.

Katharina Raskob