Literatur

06.04. | Buch der Woche

David Garrett • Wenn ihr wüsstet

Heyne

Eine Autobiografie im Alter von 41 Jahren vorzulegen – ist das Hybris? Kann ein Mensch in solch jungen Jahren schon so viel erlebt haben? David Garrett kann: Mit vier hat er begonnen Geige zu spielen, mit fünf den ersten Wettbewerb gewonnen, mit zehn gab er sein Orchesterdebüt, mit 13 hat er die ersten Platten aufgenommen. Zu erzählen gibt es also genug. Vom strikten Elternhaus etwa, in dem Disziplin über alles ging, in dem der junge David, so erzählt er es in „Wenn ihr wüsstet“, mit der Einhaltung seines umfangreichen Geigenübungsplans dafür verantwortlich zeichnete, dass der Haussegen nicht schiefhing. Garrett galt als Wunderkind, und seine Autobiografie kreist nicht zuletzt um die Frage, wie ein Mensch es schaffen kann, mit dieser Bürde erwachsen zu werden, seinen eigenen Platz im Leben zu finden. „Was“, fragt sich der Sohn eines deutschen Juristen und Geigenauktionators und einer US-amerikanischen Primaballerina einmal mit Blick auf das strenge Übungs-Regiment, „wenn du an jedem Abend allen Fortschritten zum Trotz mit dem Gefühl zu Bett gehst, wieder einmal nicht gut genug gewesen zu sein?“ Es scheint ein Lebensschicksal zu sein, eines, dem auch der erwachsene Garrett nicht entkommen kann. „Wenn ihr wüsstet“ ist allerdings keine Abrechnung mit den Eltern, auch keine Enthüllungsbiografie, ist also kein Befreiungsschlag oder ein bewusster Bruch mit den Erwartungen. Das Buch ist gewissermaßen das Gegenteil: Es ist die Verlängerung der großen Ansprüche an sich selbst, die Fortsetzung eines Strebens nach Perfektion, denn „etwas anderes als Perfektion kam nicht infrage.“ Das liest sich gerade dort spannend, wo der Star-Geiger versucht, über Niederlagen oder Brüche hinwegzuschreiben.

David Garrett
Wenn ihr wüsstet. Die Autobiografie

Heyne, 368 Seiten

Johannes Baumstuhl