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05.12. | Kinostart der Woche

The Outrun

05.12. | Kinostart der Woche - The Outrun

Bild: STUDIOCANAL / The Outrun Ltd.


Deutsche Regisseurin auf internationaler Bühne

Mit ihrem ersten langen Spielfilm »Systemsprenger« wurde Nora Fingscheidt zur großen Hoffnung des deutschen Kinos. Doch statt weiter in der Heimat Regie zu führen, nutzte die gebürtige Braunschweigerin das Momentum für den Sprung ins Ausland: auf »The Unforgivable« mit Sandra Bullock lässt sie nun »The Outrun« mit Saoirse Ronan folgen.

Nora Fingscheidt, es ist gerade einmal fünf Jahre her, dass Ihr Film „Systemsprenger“ für ordentlich Furore sorgte. Staunen Sie selbst manchmal darüber, wie schnell Sie dann zur international gefragten Regisseurin wurden

Oh ja, ich bin oft genug noch wirklich verblüfft und muss mich zwicken. Gerade in Momenten, in denen es mal stressig und anstrengend ist und ich mir insgeheim wünsche, einen anderen Beruf zu haben, schaue ich von außen auf die vergangenen paar Jahre und bin wirklich dankbar dafür, welche tollen Chancen sich für mich ergeben haben. Ich durfte in so kurzer Zeit so viel lernen und empfinde es als ein Geschenk, drei so unterschiedliche Projekte machen zu können: eines in Deutschland, eines in Amerika und nun eines, das ein durch und durch europäisches ist. »The Outrun« erzählt zwar eine Geschichte in Schottland, mit einer irischen Hauptdarstellerin, aber mein Kernteam – vom Kameramann über den Editor bis zu den Komponisten – war dasselbe wie bei »Systemsprenger«.

»The Outrun« wurde von außen an Sie herangetragen. Die Rechte an der gleichnamigen Buchvorlage von Amy Liptrot hatte sich Saoirse Ronan gesichert, die nun auch die Hauptrolle spielt, richtig?

Genau, deren Mitproduzentin Sarah Brocklehurst klopfte bei mir an. Wobei es noch gar kein Drehbuch gab, das habe ich erst in Zusammenarbeit mit Amy geschrieben. Aber gerade, weil Saoirse von Anfang mit an Bord war, reizte mich die Sache. Rund die Hälfte des Films spielt schließlich auf einer einsamen Insel, wo die Protagonistin ganz allein vor der Kamera steht. Das funktioniert nur, wenn man eine ganz besondere Schauspielerin hat, die diese spezielle Magie mitbringt, sodass man ihr selbst beim Zähneputzen fasziniert zusieht. Da wusste ich von vornherein, dass Saoirse als Hauptdarstellerin ein echtes Geschenk ist.

Sie spielt im Film eine junge Frau, die nach einem Alkohol-Entzug in ihre Heimat auf den Orkney Islands zurückkehrt, in der Hoffnung, dort trocken zu bleiben. Hatten Sie zu diesem Thema einen Bezug?

Ich vermute, dass jeder in seinem erweiterten Freundes- oder Familienkreis jemanden kennt, der mit der Thematik schon zu tun hatte. In meinem Fall habe ich weniger einen Bezug zum Alkoholismus als zum Thema Sucht. Wobei das Spannende für mich vor allem war, den Fokus nicht so sehr auf die Sucht, sondern auf die Heilung zu richten. Mich reizte, wie diese junge Frau es schafft, sich da rauszuholen, und wie schwierig dieser Prozess ist, wenn man erst einmal nüchtern ist. Das Harte ist nämlich nicht das nüchtern werden, sondern das nüchtern bleiben. Wenn man die 90 Tage Entzug hinter sich hat und im Alltag mit Herausforderungen klarkommen muss, die für alle anderen ganz normal sind – das muss man erst mal schaffen. Und genau davon wollte ich eine letztlich positive Geschichte erzählen. Nicht, dass der Film nicht streckenweise schwer auszuhalten ist. Aber von meinen drei Filmen ist er wirklich der positivste, denn ich wollte Mut machen und zeigen, dass so etwas auch gut ausgehen kann.

Bei Filmdrehs ist es nicht unüblich, dass die Crew abends noch im Hotel an der Bar sitzt oder am Ende eine große Party gefeiert wird. War das bei »The Outrun« auch so? Oder muss ein Film über eine Alkoholikerin ein trockenes Set haben?

Das ist eine gute Frage, über die ich im Vorfeld viel nachgedacht habe. Nicht zuletzt, weil ich wusste, dass Amy immer mal wieder am Set sein würde, deren Geschichte wir ja erzählen und die nun einmal trockene Alkoholikerin ist. Doch sie meinte, dass sie es in unserer Gesellschaft ohnehin gewöhnt sei, von Menschen umgeben zu sein, die trinken. Und tatsächlich ist es für ein Filmteam auch wichtig, gemeinsam nach einem Drehtag die Anspannung fallen zu lassen. Es wurde bei uns also durchaus Alkohol getrunken. Nur nicht so wirklich von mir, denn ich hatte mein Baby dabei und habe noch gestillt.


The Outrun
05.12. • 1 Std. 59 Min.

Nach einem überfälligen Alkohol-Entzug kehrt die junge Rona (Saoirse Ronan) in ihre Heimat zurück, auf die entlegenen, von rauem Klima geprägten Orkney Islands in Schottland. Doch auch im Hin und Her zwischen ihrer religiösen Mutter und ihrem bipolaren Vater und im Spannungsfeld von Einsamkeit, Langeweile und unaufgearbeitetem Trauma fällt der Kampf gegen die Sucht nicht leicht. Was nach einer trostlosen Geschichte klingt, wird in Fingscheidts Händen zu einem Film, der nur so flirrt vor Leben, Wahrhaftigkeit und nicht zuletzt Hoffnung. Dabei ruht »The Outrun« zu weiten Teilen auf den Schultern von Ronan, die mit einer eindrucksvollen Leistung und ohne viele Worte einmal mehr zeigt, dass sie die vielleicht beste Schauspielerin ihrer Generation ist und nach bislang vier Oscar-Nominierungen auch endlich einmal den Preis verdient hätte.

Patrick Heidmann