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05.03. | Kinotipp der Woche

La Vérité – Leben und lügen lassen · 5. März

La Vérité – Leben und lügen lassen
Prokino, 05. März

Juliette Binoche ist eine Ikone des französischen Kinos, wurde für „Der englische Patient“ mit dem Oscar ausgezeichnet – und dreht besonders gerne mit Filmemachern aus Asien. So wie nun bei „La Vérité – Leben und lügen lassen“, dem ersten Film, den der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda („Shoplifters“) fernab der Heimat produzierte. Wir trafen sie in Paris zum Interview.

Madame Binoche, wie kamen Sie und der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda zusammen?
Wir lernten uns schon vor 14 Jahren kennen und beschlossen schon damals, dass wir irgendwann einmal zusammenarbeiten wollen. Es hat dann eine ganze Zeit gedauert, aber natürlich war ich sofort begeistert, als er schließlich ein passendes Projekt für mich hatte.

Wie ist es, mit einem Regisseur zu arbeiten, der weder Französisch noch Englisch spricht?
Anders als er immer behauptet, versteht Hirokazu durchaus ein wenig Englisch! Und es ist am Set immer ein Übersetzer dabei, falls es etwas zu besprechen gibt. Das war auch bei der früheren Arbeit mit Hou Hsiao-Hsien oder Abbas Kiarostami so. Aber wenn ich einen Film drehe, dann funktioniert Kommunikation ohnehin nicht zwangsläufig über Sprache. Für alles, was mit Worten zu tun hat, gibt es das Drehbuch. Darüber hinaus geht es vor allem um Gefühle, und die sind universell verständlich. Genau wie die Stille.

In „La Vérité – Leben und lügen lassen“ spielen Sie eine Autorin, die im Schatten ihrer erfolgreichen Schauspieler-Mutter steht. Wie fühlte es sich an, die Tochter von Catherine Deneuve zu verkörpern?
Wir kannten uns vor dem Dreh nur flüchtig, aber natürlich hatte ich sie schon als Kind im Fernsehen gesehen, in den Filmen von Jacques Demy. Dass sie nun plötzlich meine Film-Mutter war, hatte deswegen etwas Kurioses. Ich habe versucht, ihr so nah wie möglich zu kommen, was gar nicht so leicht war. Dass ich sie zum Beispiel beharrlich geduzt habe, hat sie sehr irritiert und sie hat das anfangs auch nicht erwidert. Irgendwann habe ich sogar angefangen zu rauchen, weil sie das ja ständig tut.

Sie drehen sehr viele und höchst unterschiedliche Filme, das reicht von „Godzilla“ bis Claire Denis’ „High Life“. Suchen Sie nach größtmöglicher Abwechslung?
Nicht unbedingt. Aber ich suche immer nach Projekten, die mich etwas Neues entdecken und erleben lassen. Und vor allem nach spannenden Menschen, denn wichtiger als eine bestimmte Rolle sind für mich immer die Personen, mit denen ich zusammenarbeite.

Wie unterscheidet sich die Arbeit an einer großen Hollywood-Produktion von der an einem kleinen Film mit einem japanischen Regisseur?
Für mich als Schauspielerin macht das kaum einen Unterschied. Das, was ich leisten muss, ist eigentlich in beiden Fällen gleich. Allerdings muss ich sagen, dass es Fälle wie „Ghost in the Shell“ gab, bei denen so viel Geld im Spiel war, dass die Anspannung beim Dreh noch mal sehr viel höher war.

Wann und wie lesen Sie eigentlich die ganzen Drehbücher?
Das ist nicht, was ich nebenbei machen könnte. Wenn ich ein Skript lese, dann mit voller Aufmerksamkeit, das kostet richtig Zeit und Energie. Meistens merke ich schon nach ein paar Seiten, ob ich mit der Geschichte etwas anfangen kann. Aber selbst wenn nicht, lese ich bis zum Ende. Das finde ich nur fair – und außerdem kann ich nur dann auch eine Absage begründen.

Auch mit 55 Jahren drehen Sie einen Film nach dem anderen. Ist das Älterwerden ein Kinderspiel für Sie?
Beruflich kann ich mich nicht beschweren. Ansonsten bedeutet das Altern allgemein, wieder Demut zu lernen und das eigene Ego runterzuschrauben. Ein langwieriger und schmerzhafter Prozess, denn man jung war, war man es gewöhnt, im Vollbesitz der eigenen Kräfte zu sein. Man fühlte sich mächtig und wichtig und genoss das in vollen Zügen. Es fühlt sich unfair an, wenn man zu spüren beginnt, dass all das immer weniger wird.

Ist Alter nur Verlust? Oder gewinnt man auch etwas dazu?
Klar, Erfahrungen und Reife ziehen eine gewisse Freiheit nach sich. Die entwickelt sich letztlich aus diesem Verlust, denn die Dinge, um die man sich Sorgen machen könnte, sind oft einfach nicht mehr da. Weil vieles von den Oberflächlichkeiten wegfällt, besinnt man sich auf die essenziellen Dinge. Davon kann man sich verunsichern lassen. Aber eigentlich sorgt es für mehr Entspannung und Toleranz. Und für weniger Ernsthaftigkeit. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich an Humor hinzugewonnen. Und das hilft ohne Zweifel bei allem!

Fazit:
Auf den ersten Blick geht Koreedas Handschrift in seiner ersten europäischen Geschichte ein wenig verloren. Doch letztlich setzt er sich auch in „La Vérité“ wieder fein und nachdenklich damit auseinander, was es heißt, Mensch zu sein und was Familie bedeutet. Schauspielerisch läuft Catherine Deneuve als Diva an der Seite von Binoche und Ethan Hawke zu großer Form auf.

Foto: ©Laurent Champoussin


Patrick Heidmann