Literatur
04.12. | Buch der Woche
Kai Sina • Was gut ist und was böse
Propyläen
Kai Sina
Was gut ist und was böse
Propyläen / 304 Seiten / 19,99 €
Im Sommer 1943, der Krieg tobt und Thomas Mann lebt wie viele deutsche Exilanten in den kalifornischen Pacific Palisades, steht der Wunsch im Raum, der Schriftsteller möge im Nachkriegsdeutschland Präsident werden. »Emigranten, alliierte Diplomaten und Deutschland-Experten« äußerten diesen »Unsinn«, wie Mann sagte. Sicher deswegen, weil sie in ihm die Persönlichkeit sahen, die der Literaturwissenschaftler Kai Sina eindringlich herausschält. Einen Mann, der angesichts des Weltgeschehens den Luxus der reinen Autonomie der Kunst wieder aufgehoben sah, der aber dennoch zwischen seiner Rolle als Aktivist und Literat trennte. In seiner Kunst verarbeitete er das Politische komplex und ambivalent. In seinen Reden oder Schriften griff er auf einen »ungewöhnlich handfesten Ton« zurück. »Ja, wir wissen wieder, was gut und böse ist«, sagte er 1939 in der Rede »Das Problem der Freiheit«. Die historischen Details dieses so immersiv wie ein Roman verfassten Buches sind faszinierend zu lesen. So schrieb Mann zum Beispiel 1944 ein Statement gegen das schon 1939 verfasste »White Paper« der britischen Mandatsmacht über Palästina, welche auf Druck der Araber das Siedlungsgebiet der Juden verkleinern und die »‘illegale‘ Migration« bekämpfen wollte – »gerade als man für Juden einen Fluchtort brauchte«. Hier geschah die Wandlung Manns vom »kulturellen« zum »politischen« Zionisten. Am Ende der faszinierenden Lektüre brennt einem die Frage auf den Nägeln, was Thomas Mann zur heutigen Lage der Welt sagen würde.
Oliver Uschmann