Musik

04.11. | Album der Woche

Víkingur Ólafsson • From Afar

Deutsche Grammophon

04.11. | Album der Woche - Víkingur Ólafsson • From Afar

Gesetz und Überzeugung

Víkingur Ólafsson ist kein Freund gesammelter Werke. Stattdessen vereint er auf "From Afar" Stücke, die ihn berühren. Und spielte sie gleich zweimal ein.

Herr Ólafsson, was ist ihre präsenteste Kindheitserinnerung?
Ich denke an zwei Klaviere. Meine Eltern sind Musiker und haben sich mit Hilfe eines Kredits einen großen Steinway gekauft. Andere Leute finanzieren sich eine Wohnung (lacht). Auf diesem Flügel hat meine Mutter Klavierunterricht gegeben. Ich war unglaublich neidisch auf alle Kinder, die den ganzen Tag darauf spielen durften – bis ich irgendwann ein Upright-Piano bekommen habe. Es war alt und ein bisschen kaputt, kein gutes Klavier. Trotzdem habe ich stundenlang alleine in meinem Zimmer verbracht und einfach nur gespielt.

Was war das Schönste an Ihrer Kindheit?
Ich bin in Island aufgewachsen, bevor es Internet gab, also sehr abgeschieden. Ich hatte die Freiheit, ich selbst zu sein und Dinge eigenständig zu entdecken, anstatt mir bei YouTube anzuschauen, was andere Kinder in meinem Alter in New York oder Berlin tun. Den Gedanken, damit konfrontiert zu sein, finde ich beängstigend. Generell ist man heutzutage unglaublich viel damit beschäftigt, was die anderen machen. Das ist nicht immer gesund. Ich wusste damals nur, dass ich der beste Pianist in meiner Musikschule war. Auch meine Mutter hat mich nie unter Druck gesetzt. Sie sagte mir vielmehr, ich solle nicht zu viel üben und lieber Fußballspielen oder ein Buch lesen.

Hat Ihnen das bei Ihrer Karriere geholfen?
Ja. Als ich mit 18 nach New York an die Juilliard School kam, kannten sich alle anderen bereits von Wettbewerben. Es kam mir vor, als sei ich der Einzige, der eine normale Kindheit gehabt hatte. Dadurch war ich reicher an Erfahrungen. Während meine Kommilitonen zum ersten Mal die Freiheit hatten, Alkohol oder die Playstation zu entdecken, kannte ich das schon und konnte mich voll auf die Musik konzentrieren. Sie übten weniger, ich übte mehr.

In Ihren Konzerten kommentieren Sie die Musik gerne.
Oft kann man so neue Perspektiven beim Hören eröffnen. Im Konzertsaal gibt es schließlich keine Gesetze. Musiker sind in ihrer Vortragsweise oft zu uniform. Niemand verklagt dich, wenn du keinen Anzug trägst oder die Musik anders präsentierst. Und trotzdem machen es alle gleich. Das klassische Konzert ist das einzige, in dem es keinerlei Interaktion mit dem Publikum gibt. Warum? Wenn Menschen sich bewusst dafür entscheiden, sich zu kleiden und zu benehmen wie im 19. Jahrhundert, ist das okay. Aber das sollte kein Automatismus sein. Man sollte Dinge aus Überzeugung tun.

Víkingur Ólafsson
From Afar

Deutsche Grammophon, 7. Oktober

Für „From Afar“ wählt Víkingur Ólafsson nicht nur ein ungewöhnliches Repertoire, sondern auch eine unkonventionelle Methode. Die liebevolle Zusammenstellung von Stücken, die er mit seiner Kindheit verbindet, reicht von Werken Bachs bis zu zeitgenössischen Kompositionen. Eingespielt hat er sie zweimal: Auf einem Steinway und einem Upright-Piano. So sorgt er für ein ungewöhnliches Klangerlebnis, bei dem man selbst die Wahl zwischen Konzerthaus-Grandezza oder intimer Wohnzimmeratmosphäre hat.


Foto: Ari Magg

Katharina Raskob